Der Fluch des Khan
da.«
Der Kapitän verzog das Gesicht, dann riss er die Augen auf, während er die Krängung zum ersten Mal bemerkte.
»Wir brauchen Kraft!«, schrie er und griff zum Maschinenraumtelefon. Doch kaum hatte er den Hörer in der Hand, als es auf der Brücke plötzlich dunkel wurde. Die Lichter an den Masten, die Kabinenbeleuchtung, die Anzeigen am Fahr- und Kommandostand – alles erlosch, die gesamte Stromversorgung des Schiffes fiel aus. Selbst die Alarmglocken verstummten mit einem gequälten Winseln.
Fluchend tastete sich der Kapitän in der Dunkelheit am Fahr- und Kommandostand entlang, bis er den Schalter für die Notbatterie fand, woraufhin die Brücke in ein schummriges Licht getaucht wurde. Die Notbeleuchtung war kaum angegangen, als der Chefmaschinist der
Wereschtschagin
keuchend auf die Brücke gestürmt kam. Der schwergewichtige Mann mit dem ordentlich gestutzten Bart und den himmelblauen Augen schien in heller Panik.
»Kapitän, die Luken zum Maschinenraum sind mit Ketten verschlossen. Wir kommen nicht rein. Ich fürchte, das Schiff ist schon halbvoll gelaufen.«
»Jemand hat die Luken verschlossen? Was ist passiert? … Warum sinken wir? Wir liegen doch vor Anker,« rief der Kapitän kopfschüttelnd.
»Offenbar wurden die Lenzventile geöffnet. Ins Unterdeck des Achterschiffs dringt rasch Wasser ein«, meldete der Maschinist, sobald er wieder ruhiger atmen konnte.
»Sie sollten lieber alle erforderlichen Vorkehrungen zum Verlassen des Schiffes treffen«, riet Pitt so ruhig wie möglich.
Trotzdem trafen diese Worte den Kapitän bis ins Mark. Den Befehl zum Verlassen des Schiffes zu erteilen, fühlt sich für einen Kapitän genauso an, als müsste er sein eigen Fleisch und Blut hergeben. Es gibt keinen schmerzlicheren Befehl. Schon der Gedanke daran, dass er sich vor dem Schiffseigner, den Versicherungsgesellschaften und dem Untersuchungsausschuss des Seefahrtsamtes verantworten musste, wäre ihm schlimm genug. Noch schwerer aber war es, mit ansehen zu müssen, wie die Besatzung ängstlich und in aller Eile von Bord ging und der Koloss aus Holz und Stahl in den Fluten versank. Wie das Lieblingsauto einer Familie kann auch ein Schiff für den Kapitän und die Besatzung eine eigene Persönlichkeit bedeuten, samt aller Eigenarten, Schrullen und persönlichen Vorlieben.
Manch einem Kapitän hat man schon vorgehalten, er sei in sein Schiff verliebt. Und das galt auch für Kapitän Charitonow.
Der müde Kapitän wusste, dass Pitt recht hatte, doch er brachte die Worte nicht heraus. Mit grimmiger Miene gab er dem Chefmaschinisten lediglich durch ein kurzes Nicken zu verstehen, dass er den entsprechenden Befehl erteilen sollte.
Pitt, der fieberhaft überlegte, wie er das Schiff über Wasser halten konnte, war bereits aus der Tür.
Zunächst dachte er daran, seine Tauchausrüstung zu holen und in den Maschinenraum vorzudringen, aber dazu musste er erst die Luke überwinden, die ja mit einer Kette verschlossen war.
Und was dann? Wenn das Wasser durch ein Leck unter dem Maschinenraum eindrang, konnte er ohnehin nichts dagegen unternehmen.
Die Lösung fiel ihm ein, als er auf dem Mitteldeck unverhofft auf Giordino und Gunn stieß.
»Sieht aus, als bekämen wir nasse Füße«, sagte Giordino in aller Ruhe.
»Der Maschinenraum ist abgeriegelt und läuft voll. Das Schiff wird sich nicht mehr lange über Wasser halten«, sagte Pitt und blickte dann das abschüssige Achterdeck entlang. »Wie schnell kannst du den Knattervogel warmlaufen lassen?«
»Bin schon unterwegs«, erwiderte Giordino und rannte nach achtern, ohne Pitts Antwort abzuwarten.
»Rudi, sorg dafür, dass das Explorationsteam an Deck ist und sich in der Nähe eines Rettungsbootes aufhält. Danach sieh zu, ob du den Kapitän überreden kannst, die Ankertrosse zu kappen«, sagte Pitt zu Gunn, der mit seiner leichten Jacke bibbernd in der kühlen Nachtluft stand.
»Was hast du im Ärmel?«
»Ein Ass, hoffe ich doch«, versetzte Pitt, dann verschwand er nach achtern.
Der Kamow stieg in den Nachthimmel auf und schwebte dann einen Moment lang über dem sinkenden Schiff.
»Heißt es nicht immer, ›Frauen und Kinder zuerst‹?«, fragte Giordino vom Pilotensitz aus.
»Ich habe Rudi gesagt, er soll das Erkundungsteam zusammentrommeln«, erwiderte Pitt, dem klar war, dass sich Giordino ernsthaft Sorgen um Theresa machte. »Außerdem sind wir zurück, bevor irgendjemand nasse Füße kriegt.«
Während sie beide aus dem Cockpit blickten und die
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