Der Fluch des Khan
anstarrte.
Dann zielte Giordino auf das Vorhängeschloss, gab aus nächster Nähe zwei Schüsse darauf ab und riss es herunter. Er ergriff den Hebel zum Entriegeln der Tür, riss einen der Flügel auf und ließ ihn aufs Deck knallen. Pitt und Sarchow kullerten wie zwei durchgerüttelte Welpen heraus, rappelten sich auf und rieben sich die schmerzenden Körperteile.
»Sag mal, warst du in einem früheren Leben Karussellführer?«, sagte Pitt mit einem schiefen Lächeln.
»Nee, ich habe bloß ein bisschen Bowling trainiert«, erwiderte Giordino. »Wenn ihr so weit seid, schlage ich vor, dass wir das gastliche Schiff schleunigst verlassen.«
Von vorn hörten sie laute Schritte auf der Gangway, dazwischen Rufe. Pitt ließ den Blick über das Achterdeck schweifen und bemerkte die reglosen Männer, die am Boden lagen. Dann betrachtete er Sarchow. Der Russe war sichtlich angeschlagen, bewegte sich nur langsam und sah nicht so aus, als könnte er in dieser Nacht noch vor jemandem davonlaufen.
»Ich hol das Boot. Nimm Alexander und seil dich mit ihm über die Heckleine ab«, wies er Giordino an.
Dieser nickte nur kurz, als Pitt zur Steuerbordwand rannte, über die Reling stieg und hinabsprang. Um ein Haar hätte er den Kai verpasst, brachte aber gerade noch einen Fuß auf den Boden, warf sich dann nach vorn und rollte sich ab.
Weitere Stimmen hallten über das Schiff und kamen allmählich näher, begleitet von den zuckenden Strahlen mehrerer Taschenlampen. Pitt gab jedes Versteckspiel auf und sprintete zum Boot, als er hinter sich rasche Schritte am Kai hörte. Er sprang in das Zodiac und stieß ein kurzes Stoßgebet aus, das auch prompt erhört wurde – beim ersten Zug am Seil sprang der alte Außenborder an. Er jagte den Motor hoch und steuerte das Zodiac zum Heck des Schiffes, bis das Gummiboot an die Stahlplatten des Rumpfes stieß.
Pitt nahm das Gas zurück und blickte nach oben. Unmittelbar über ihm hing Sarchow, der sich mit letzter Kraft an die hintere Vertäuleine klammerte.
»Lassen Sie los, Alexander«, rief er.
Pitt stand auf und fing den schweren Russen auf, als er sich wie ein Mehlsack ins Boot fallen ließ. Dann hörten sie über ihren Köpfen ein halbes Dutzend Schüsse, die über Schiff und Kai hinwegpfiffen, offenbar aus einer Automatik. Im nächsten Augenblick tauchte Giordino an der Vertäuleine auf und hangelte sich in aller Eile herunter, bis er unmittelbar über dem Boot hing. Als oben wieder laute Schreie ertönten, ließ er sich lautlos ins Boot fallen.
»Abgang geschafft«, grummelte er.
Pitt gab bereits Gas und steuerte unter dem Heck nach Backbord, bevor er Kurs auf den See nahm. Kurz darauf hob sich der Fiberglasbug aus dem Wasser, als das Boot mit voller Fahrt davonraste. Trotzdem waren sie noch mehrere Sekunden lang in Sichtweite von Schiff und Pier, daher duckten sie sich vorsichtshalber, um nicht getroffen zu werden.
Aber niemand schoss auf sie. Pitt warf einen Blick zurück und sah ein halbes Dutzend Männer an die Backbordreling stürmen.
Doch sie standen lediglich da und blickten dem kleinen Boot hinterher, bevor es in der Ferne verschwand.
»Komisch, dass die im letzten Moment noch zu Pazifisten geworden sind«, stellte Giordino fest.
»Vor allem, nachdem du die ganze Nachbarschaft mit deinen Schießkünsten geweckt hast«, versetzte Pitt.
Er fuhr direkt auf die
Wereschtschagin
zu, ohne sich die Mühe zu machen, ihre Widersacher zu täuschen. Als sie sich schon ein paar Minuten später dem Forschungsschiff näherten, ging Pitt neben einem an der Steuerbordwand herabgelassenen Fallreep längsseits. Mittlerweile hatte sie der junge Polizist am Ufer bemerkt und rief ihnen zu, dass sie sich nicht von der Stelle bewegen sollten. Sarchow stand auf und brüllte etwas auf Russisch zurück. Der Polizist sackte sichtlich in sich zusammen, machte dann kehrt und verschwand in Richtung Ortschaft.
»Ich habe gesagt, er soll seinen Chef wecken«, erklärte Sarchow. »Wir brauchen ein paar kräftige Männer für die Durchsuchung des Frachters.«
Rudi Gunn, der während ihrer Abwesenheit nervös am Deck auf und ab gegangen war, stürmte von der Brücke herab, als die drei Männer an Bord kletterten.
»Dr. Sarchow … ist mit Ihnen alles in Ordnung?«, fragte er und musterte sein geschwollenes Gesicht und die blutige Kleidung.
»Mir geht’s bestens. Würden Sie bitte so freundlich sein und den Kapitän holen.«
Pitt begleitete Sarchow auf die Krankenstation
Weitere Kostenlose Bücher