Der Fluch des Khan
er.
Howard lachte vor sich hin. Die dreißigköpfige Besatzung des Tankers ließ sich ständig etwas Neues einfallen, um die Langeweile während der Atlantiküberquerungen oder der Liegezeit zu vertreiben, wenn das Schiff beladen oder gelöscht wurde. Ein klappriges Moped, das normalerweise für Inspektionsfahrten auf dem riesigen Deck diente, wurde einfach zu einer Rennmaschine zweckentfremdet. Dazu hatten die Männer eine ovale Rennstrecke samt Schikanen und Sprungschanzen angelegt, auf der ein Besatzungsmitglied nach dem anderen sein Glück versuchte, als ginge es um die Qualifikation zur Indy 500. Zum Leidwesen der Besatzung hatte der Kapitän des Schiffes bislang die Bestzeit vorgelegt. Keiner der Männer an Bord ahnte, dass Howard in seiner Jugend in North Carolina Motocross gefahren war.
»Wir nähern uns Dharan, Sir«, sagte der Erste, ein aus Houston, Texas, stammender stiller Afroamerikaner namens Jensen.
»Ras Tanura liegt fünfundzwanzig Meilen voraus. Soll ich die automatische Steuerung ausschalten?«
»Ja, gehen Sie auf Handsteuerung und lassen Sie bei der Zehn-Meilen-Markierung die Maschinen drosseln. Verständigen Sie auch den Hafenmeister, dass wir in etwa zwei Stunden bereit zur Übernahme durch die Schlepper sind.«
Beim Steuern eines Supertankers kam es hauptsächlich auf Weitblick und Vorsicht an, vor allem, wenn es darum ging, das Mammutschiff rechtzeitig zu stoppen. Jetzt, da die Öltanks leer waren und das Schiff hoch im Wasser lag, war es zwar wendiger, doch noch immer bedeutete es für die Männer auf der Brücke etwas Ähnliches, als müssten sie einen Berg von der Stelle bewegen.
An der Westküste wich die staubig braune Wüste den ersten Häusern von Dharan, einer Arbeiterstadt, die zugleich Hauptsitz des Ölkonglomerats Saudi-Aramco war. Der Tanker passierte die Stadt sowie den benachbarten Hafen von Dammam und näherte sich einer schmalen Halbinsel, die von Norden in den Golf ragte. Auf der anderen Seite dieser Halbinsel lag die riesige Ölanlage von Ras Tanura.
Ras Tanura ist der Hauptumschlagplatz der saudischen Ölindustrie. Mehr als die Hälfte der gesamten saudischen Ölexporte laufen durch den regierungseigenen Komplex, der über eine Vielzahl von Pipelines mit den reichen Ölfeldern in der Wüste im Landesinneren verbunden ist. An der Spitze der Insel wird das schwarze Gold in Dutzenden mächtiger Tanks gelagert, dazu kommen noch Flüssiggas und andere petrochemische Produkte, die für den Transport nach Asien und in den Westen bestimmt sind. Ein Stück weiter nördlich befindet sich die größte Raffinerie der Welt, in der das Rohöl veredelt wird. Doch die eindrucksvollste Anlage von Ras Tanura ist kaum zu sehen.
Howard, der auf der Brücke der
Marjan
stand, achtete nicht auf die Tanks und Pipelines an der Küste, sondern konzentrierte sich auf ein halbes Dutzend Supertanker, die paarweise vor der Halbinsel lagen. Diese Schiffe waren an einem Terminal namens Sea Island vertäut, der sich wie ein langer Balken über eine Meile quer durchs Wasser erstreckte. Dort wurden die Supertanker mit dem Rohöl beladen, das aus den zwei Meilen entfernten Lagertanks an der Küste mit Hochdruck durch eine Vielzahl von dreißig Zoll starken, am Grund des Golfes verlegten Rohren gepumpt wurde.
Als sich die
Marjan
langsam näherte, sah Howard, wie drei Schlepper einen griechischen Tanker nach Sea Island brachten, bevor sie sein Schiff ansteuerten. Der Steuermann der
Marjan
lotste den Supertanker längsseits an einen freien Liegeplatz am Ende des Terminals, dem griechischen Tanker genau gegenüber.
Während sie darauf warteten, dass die Schlepper sie hineinbugsierten, blickte Howard bewundernd auf die anderen sieben Supertanker, die in der Nähe lagen. Alle waren über dreihundert Meter lang, weitaus größer als die
Titanic
und wahre Wunderwerke der Schiffsbaukunst. Obwohl er in seinem Leben schon Hunderte von Tankern gesehen und vor der
Marjan
bereits auf mehreren Supertankern gedient hatte, beeindruckte ihn der Anblick eines ULCC stets aufs Neue.
Dann bemerkte er in der Ferne das schmutzig weiße Segel einer arabischen Dhau und wandte sich der Halbinsel zu, um das in diesen Gewässern heimische Segelboot näher zu betrachten.
Das kleine Boot fuhr dicht unter Land in Richtung Norden, an dem Bohrschiff vorbei, das ein paar Stunden zuvor noch hinter der
Marjan
gewesen war, jetzt aber näher an der Küste lag.
»Schlepper sind an Backbord in Position gegangen«, meldete der
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