Der Fluch des Koenigs
einem Bergkamm in dieser Gegend hat Eloras Mann eine kleine Jagdhütte“, erklärte er. „Ich will sie vor dem ersten Licht des Tages erreicht haben.“
Moa schaute ihn entgeistert an. „Nein“, entfuhr es ihr. „Du erwartest, dass ich bei Nacht durch diesen Wald laufe?“
Joesin musterte sie aus zusammengekniffenen Augen und schüttelte den Kopf, als wisse er nicht, was er auf solch eine alberne Frage antworten sollte. „Wir werden sehen“, meinte er ausweichend und reichte ihr Brot, Käse und einen Apfel.
Nachdem Moa einen Moment verständnislos darauf gestarrt hatte, nahm sie das Essen hastig entgegen. Neben ihr raschelte etwas im Laub. Moa gefror mitten im Kauen und blickte misstrauisch zu der Stelle zwischen den Wurzeln der Eiche, ohne jedoch erkennen zu können, was für ein Tier das Geräusch verursacht hatte. Mit Sicherheit etwas Kleines. Ein winziges, pelziges, niedliches und völlig harmloses Tierchen, das sich lediglich durch ein paar trockene Blätter wühlte.
Doch mit jedem Lichtstrahl der den Himmel verließ und nicht mehr durch die Bäume drang, wurde der Wald um sie herum unheimlicher. Joesin schien sich nicht im Geringsten dran zu stören. Sein Haar, das in diesem Licht fast schwarz wirkte, war ihm in die Stirn gefallen und verbarg seine Augen.
„Weiter“, befahl er unvermittelt, stand auf und befestigte den Rucksack auf seinem Rücken.
Moa starrte zu ihm hoch. Sie hatte gerade einmal Zeit genug gehabt, um ihren Proviant zu essen, und schon sollte sie wieder aufbrechen? Sie unterdrückte einen Fluch und stemmte sich mühsam auf die Beine, wobei ihre Muskeln lautstark protestierten.
„Der Boden ist uneben.“ Joesin streckte ihr seine Hand entgegen. „Ich kann im Dunkeln besser sehen als du.“
Moa hob eine Augenbraue. Sie hatte schon galantere Angebote bekommen. Mit einer Mischung aus Ärger und Unbehagen betrachtet sie seine Hand. Am liebsten hätte sie abgelehnt. Doch die Vernunft siegte und so ließ sie ihre Finger in seine gleiten.
Sie wollte es nicht zugeben, doch sobald sie Joesin berührte, fühlte sie sich sicherer, irgendwie beschützt. Es war irritierend und sie hätte einiges dafür gegeben das Gefühl ignorieren zu können.
Moa stolperte über ihre taub gewordenen Füße. Ihre Stirn prallte unsanft gegen Joesins Rücken, der plötzlich direkt vor ihr zum Stehen gekommen war. Sie war nicht sicher, wie lange sie bereits durch die Nacht gelaufen waren, nur dass ihr gesamter Körper vor dumpfem Schmerz pochte, der mit jedem Schritt intensiver wurde. Selbst die unheimlichen Geräusche von fliehenden, aufgescheuchten Tieren, entferntem Heulen oder erschreckend nahen Eulenrufen konnten sie nicht mehr aus ihrer erschöpften Trance reißen.
Ein Arm legte sich um ihre Schultern und gab ihr die Balance zurück. Dankbar lehnte Moa sich an und bettete ihren Kopf an die Schulter, gegen die sie eben noch gestoßen war.
„Sieh hin“, hörte sie Joesins Stimme. Er rüttelte sie ein wenig, bis sie ihre Augen öffnete, die wie von allein zugefallen waren.
Sie standen am Rande einer Lichtung, die von Nadelbäumen und Eichen umringt war. Die Lichtung war nicht groß, gerade weit genug, dass das Mondlicht durch die sonst dichten Äste huschen konnte, um den moosbewachsenen Waldbodens mit silbrigen Glanz zu übergießen. Zuerst wusste Moa nicht, worauf Joesin sie aufmerksam machen wollte, doch dann erkannte sie zwischen den Schatten einer Tanne, am anderen Ende der Lichtung, ein Reh mit seinem Kitz. Die Mutter bewegte sich ruhig und gelassen, mit eleganten, langen Schritten durch das Unterholz und knabberte hier und da an einem Blatt oder einem Grashalm. Ihr Kitz folgte mit flinken Sprüngen nach.
Der Anblick war so friedlich und so unerwartet, dass Moa für einen Moment alle Müdigkeit und Schmerzen vergaß. Das Reh bahnte sich bedächtig einen Weg durch das Unterholz, bis es, von seinem Kitz gefolgt, im Dunkel der Bäume verschwand.
„Wie schön“, flüsterte Moa. Sie drehte den Kopf zu Joesin, der den Tieren noch immer hinterher schaute. Seine Züge wirkten verschlossen, der Ausdruck in seinen Augen unlesbar.
Er nahm seinen Arm von ihrer Schulter und drehte den Rucksack herum, so dass er vor seiner Brust saß. Moa schwankte vor Müdigkeit und verstand erst nicht, was er da tat, bis er vor ihr in die Hocke ging.
„Steig auf“, sagte er. „Ich werde dich tragen.“
Zu erschöpft um Fragen zu stellen, legte Moa ungelenk ihre Arme um seinen Hals. Joesin griff nach ihren
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