Der Fluch des Nebelgeistes 01 - Meister der Schatten
kostbar.«
Grithen stieß einen Pfiff aus und blickte seine Kumpane triumphierend an, von denen sich einer tatsächlich als Frau mit harten, narbigen Gesichtszügen entpuppte. »Welcher von ihnen ist es? Ich verspreche dir, wir werden ihn so sanft wie eine zarte Blume behandeln.«
Arithon zog die Brauen hoch. »Er ist keine Blume, aber macht euch nur keine Sorgen. Wenn er nicht kooperiert und zu Tode kommt, so wird mein Leben ganz sicher verwirkt sein.«
Grithen ergriff Arithons verlorenes Schwert und testete die Balance der Klinge, während sein Lächeln plötzlich einen bösartigen Zug bekam. »Du bist ein Knabenliebhaber«, schloß er angewidert. »Darum hast du dich ergeben. Du wolltest deinen Liebhaber schützen.«
»Bei Dharkaron«, murmelte Arithon. »Du wirst dir noch wünschen, daß du recht hättest.« Er zeigte keinen Groll angesichts dieser Beleidigung, und irgendwann erkannte der Barbar, was sich tatsächlich hinter der hölzernen Miene seines Gefangenen verbarg. Der Schuft, den zu fesseln und zum Rand der Klippe zu bringen er angeordnet hatte, kämpfte verzweifelt darum, nicht zu lachen. »Verrückt«, vermutete Grithen ärgerlich. Mit der Fingerspitze testete er die Schärfe des Schwertes und zuckte zurück, als der Stahl seine Haut aufritzte. Zwar voller Unbehagen, doch zu fanatisch, um sich zurückzuziehen, stieß er den Schrei eines Bergadlers aus und verwies seine Leute in ihre Deckung, um den zweiten Teil des Überfalls aus dem Hinterhalt zu beginnen.
Die braune Stute scheute, und ihr Schnauben übertönte das Rasseln des Zaumzeugs, als die Reiter sich der Stelle näherten, an der ihr Freund gerade erst in Schwierigkeiten geraten war.
»Hooh«, rief Lysaer in sanftem Ton. Im Sattel seines mißgestimmten Wallachs führte er das Pferd seines Halbbruders mit sich. Als die Stute zurückzuckte, ließ er die Zügel locker. »Hooh, ganz ruhig.« Der ruhige Klang seiner Stimme verbarg die Sorgen, die sich tief in seine Gedanken brannten. Der Herr der Schatten mochte eigensinnig und geradezu irrsinnig verstockt sein; doch während sich Lysaer auf der Suche nach einem Mann, der möglicherweise gestürzt und verletzt war, durch den windgepeitschten Schnee voranarbeitete, dachte er nicht mehr an vergangene Übeltaten oder Piraterie. Wie widerspenstig, wie geheimnisvoll oder sonderbar auch seine Erziehung bei den Magiern ihn hatte werden lassen, ganz sicher waren Arithons Motive vor ihrer gemeinsamen Verbannung nicht auf Bösartigkeit gegründet gewesen.
Er war ein Verwandter, und er war der einzige in dieser nebelverwüsteten Welt, der sich daran erinnern konnte, daß Lysaer als ein Prinz geboren worden war.
Wieder scheute die Stute. Dieses Mal zerrte sie den Wallach mit sich zur Seite. Lysaer behielt dennoch das Gleichgewicht. Er beobachtete den grauen Fels und die niedergetrampelten Schneewehen, bis er schließlich den zerknitterten Umhang seines Bruders in einer flachen Senke entdeckte. Der schwarze Schaft eines Pfeiles ragte aus ihm hervor. Lysaer stockte der Atem. Die Stute war nicht durch einen Fehltritt zu ihrer Schulterverletzung gekommen, und dies war der Beweis.
So angespannt wie eine Sprungfeder machte sich der Prinz daran, die Stute am Sattelring seines Wallachs festzubinden, ehe er sich Asandir zuwandte. »Arithon hat mit Ärger gerechnet? Was kann er damit gemeint haben?«
Noch ehe der Zauberer ihm antworten konnte, erklangen Rufe über dem nebelverhangenen Paß, und die Straße füllte sich mit Bogenschützen.
»Halt!« brüllte ein bärtiger Raufbold auf dem Grat eines Felsvorsprungs. »Steigt ab und legt eure Waffen nieder.«
Lysaer wandte sich hastig auf seinem Pferd um. Gedankenloser Zorn flackerte wie die Flamme einer Fackel in seinen Augen. »Was habt Ihr mit meinem Halbbruder getan?« rief er wütend.
»Wir haben ein Loch in seinen Mantel geschossen, wie du sehen kannst.« An die Arroganz der Söldner gewöhnt, die die Händler zur Bewachung ihrer Wagenzüge anzuheuern pflegten, ließ er sich zu einem abfälligen Grinsen hinreißen. »Falls dir das nicht gefällt, dann können wir gern noch ein bißchen mehr tun.«
Er winkte jemandem weiter oben zu. Gleich darauf belebte sich die Klippe mit allerlei Aktivitäten, und ein Bündel wurde freischwebend an einem Seil über den Rand des Felsens geschoben. Als Wind und Schneegestöber nachließen und den Blick freigaben, konnte Lysaer Arithon erkennen, der, an Händen und Füßen gefesselt, kopfüber an einem Vorsprung hing,
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