Der Fluch des Nebelgeistes 01 - Meister der Schatten
führte, war in den Jahren unter der Herrschaft des Nebelgeistes verfallen. Nur verwaschene Wagenspuren führten noch über die Hügelkette. In den Tälern hingegen bot der geschütztere Boden allerlei Sträuchern eine Heimat. Rottendes Eichenlaub bedeckte die Bruchstücke der verfallenen Straße. Außerdem hatte sie in dem Stall, in dem sie zuletzt das Pferd gewechselt hatte, ihre eigene, geliebte Stute bekommen, die sie nicht allzu schnell über einen Boden treiben wollte, auf dem herumliegende Pflastersteine und verborgene Bodensenken ein Pferd zu folgenschweren Fehltritten führen konnten.
So war es bereits Tag, als Elaira, naß bis auf die Haut, wund und wütend über die durch den Sturm bedingte Verzögerung, ihre zierliche Stute vor einem wenig benutzten Seiteneingang zügelte, der in das Innere des verfallenen Palastgartens führte.
Eine Novizin erwartete sie. Übellaunig stand sie im Regen und erklärte mürrisch, daß die Gesandte sich sofort zur Berichterstattung in die große Halle zu begeben habe.
Seufzend stieg Elaira von ihrem Pferd. Wenn sich der Oberste Rat selbst mit ihren Taten befaßte, dann war es so oder so gleichgültig, zu welcher Stunde sie zurückkehrte. Der Regen prasselte mit unverminderter Stärke hernieder und ergoß sich in Rinnsalen über den Torbogen. Elaira legte der Stute die Zügel über den dampfenden Rücken und begann, die Sattelgurte zu lösen.
»Ihr solltet das einem Pferdepfleger überlassen.« Die zitternde Novizin war nicht minder durchnäßt als Elaira, allerdings mußte sie erst seit dem Morgen im Regen stehen, nachdem sie die Nacht über in einem warmen Bett geschlafen hatte. »Die Oberste Zauberin ist verärgert, und jede Verzögerung wird alles nur noch schlimmer machen.«
Elaira erbebte bis ins Mark. »Morriel will mich sehen?« So sehr sie sich auch bemühte, es gelang ihr nicht, ihre Furcht zu verbergen. »Aber ich dachte …«
»Das heute der Tag ist, an dem sie die Waisenhäuser aufsuchen würde«, unterbrach die Novizin fast schon gehässig. »So sollte es sein. Es waren Eure Taten in Erdane, die diese Änderung im Dienstplan herbeigeführt haben.«
Das Blut schoß ihr ins Gesicht. Also hatten ihre Verfehlungen bereits zu Gerede geführt. Wäre sie nicht als die Tochter eines Straßenräubers aufgewachsen, ehe die Korianischwestern sie zu sich geholt hatten, dann hätte die Scham sie förmlich gelähmt. »Dann wird es besser sein, wenn ich nicht erst auf den Stallburschen warte. Durch diese Änderung werden die Knaben Zeit genug haben, also wirst du leicht einen finden, der sich um mein Pferd kümmert.«
Natürlich wußte Elaira, daß die Burschen zu dieser Stunde alle zu Tisch saßen, doch das geschah der jungen Novizin ganz recht. Also schnallte sie mit klammen Fingern die Tasche mit den Schriftrollen von ihrem Sattel ab und gab der vollkommen verblüfften Novizin die Zügel, noch ehe sie zu einem Protest ansetzen konnte. Wenn die Oberste Zauberin persönlich verstimmt war, so konnte sie sich auf einigen Ärger gefaßt machen. Sie lud sich die Tasche auf die Schultern und durchquerte die von Farnen und verwahrlosten Sträuchern überwucherten Blumenbeete, in denen sich allerlei Kriechtiere tummelten.
Die ehemaligen Räume der Herzogin lagen in einem Flügel, der sich, einem Haufen moosbewachsener Steine gleich, in der Mitte des Gartens erhob. Die Balken, die das Dach des Säulenganges trugen, hatten nachgegeben, und nun bedeckten Schieferbruchstücke den Boden, in den einst ein Marmormosaik eingearbeitet worden war. Elaira trat die dichten Grasbüschel nieder, um an die Tür zu gelangen. Die ursprüngliche Pforte aus reichverziertem Zedernholz war längst verrottet. Nun hing ein roh zusammengezimmertes Türblatt aus Brettern und Rindsleder in den rosenblätterförmigen Bronzeangeln. Nasses Laub bedeckte die Schwelle. Elaira vergeudete mehrere Minuten damit, die Tür zu öffnen, doch lieber nahm sie diese Verzögerung in Kauf, als durch den Vordereingang zu gehen. Eher hätte sie noch größere Schwierigkeiten auf sich genommen, als in ihren tropfnassen, schmutzigen Kleidern den Blicken ihrer neugierigen Schwestern ausgesetzt zu sein.
Dieser Stolz kostete sie die gesunde Haut ihrer Fingerknöchel und fügte dem Geruch des nassen Pferdes an ihrem Leib noch eine Note frischen Schweißes hinzu. Entgegen Asandirs Rat, sich zu mäßigen, schritt sie kampfbereit an den modrigen Schlafräumen vorbei. Wenn die Oberste Zauberin sie nach einem langen Ritt zu
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