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Der Fluch des Nebelgeistes 01 - Meister der Schatten

Der Fluch des Nebelgeistes 01 - Meister der Schatten

Titel: Der Fluch des Nebelgeistes 01 - Meister der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janny Wurts
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sich rief, ohne ihr Zeit für ein Bad zu lassen, so mußte sie eben mit den Folgen leben.
    In besseren, müßigeren Zeiten hatten die Täfelung und die nun verfallenen Reliefs, die die Wände säumten, die ursprünglichen Bewohner dieses Gebäudes zu Tagträumen eingeladen. An einem regenverhangenen Morgen aber schienen die Räume der toten Herzoginnen angefüllt mit traurigen Erinnerungen. Elaira betrat den steingemauerten inneren Korridor. Stets den Pfützen ausweichend, die sich unter dem undichten Dach gebildet hatten, lief sie durch den schattigen Bogengang zum Vorzimmer der Obersten Zauberin. Der gewaltige Schwachkopf, der Morriel als Türsteher diente, gewährte ihr sogleich Einlaß.
    Der sonst so freundliche Mann machte ein ernstes Gesicht. Das war kein gutes Zeichen.
    Allein in dem höhlenähnlichen Gewölbe der großen Halle, blieb Elaira stehen, während hinter ihr die Tür ins Schloß gezogen wurde. Die Stühle vor dem friesverzierten Podest waren leer und der Kamin kalt. Nicht nur der Dienstplan war geändert worden, sondern der Oberste Rat selbst hatte an diesem Tag seine Arbeit eingestellt. Nur zwei verschüchterte Pagenjungen, beide blond und kaum zwölf Jahre alt, verdingten sich als Bannerträger im Dienste der Obersten Zauberin.
    Morriel selbst hielt Audienz. Alt und dünn wie eine Peitschenschnur, saß sie auf ihrem Thron der Macht und verschwand beinahe in ihrer purpurfarbenen Amtstracht, die ihre Haut so durchscheinend wie altes Porzellan erscheinen ließ. Trotzdem waren ihre Schultern aufrecht, und ihre Haltung drückte die Härte windgeplagten Granits aus, war so kühl wie die Diamanten in ihrem Haar und über den blauen Adern an ihren Handgelenken. Eingesunken zwischen ihren unzähligen Runzeln strahlten ihre Augen so schwarz wie die einer Krähe.
    Im unpassendsten Augenblick ihres Lebens erwies sich Elaira als ungeschickt und stolperte über den Saum ihres Reisemantels.
    Das Geräusch ließ Morriel aufblicken. Die hervorstehenden Wangenknochen und die Hakennase ergänzten ihr Gesicht, das einem Raubvogel glich. Sie winkte, woraufhin das Stoffbündel neben ihr in Bewegung kam und sich mit katzenhafter Geschmeidigkeit umwandte. Angst ergriff Besitz von Elaira, als sie die Erste Zauberin Lirenda erkannte, die an Morriels Seite stand und damit beschäftigt war, auf die Oberste Zauberin einzuflüstern. In schwarzer Richterrobe und Musselinschleier stand sie als zeremonielle Inquisitorin zu Diensten.
    Elaira würde für ihre Vergehen in Erdane nicht nur einer Prüfung unterworfen, sondern sie mußte sich dem formellen, geschlossenen Verfahren stellen, das ausschließlich für die Zauberinnen bereitgehalten wurde, die ihren Diensteid gebrochen hatten.
    Mit gerunzelter Stirn ging sie verängstigt und frierend – nicht nur wegen ihrer nassen Kleider – noch einmal in Gedanken ihre Fehltritte durch: Sie hatte mit einem Zauberer gesprochen, doch sie hatte die Geheimnisse der Schwesternschaft nicht verraten; sie hatte mit einem betrunkenen Propheten gespielt, doch hatte sie sich neben der Mißachtung ungeschriebener Anstandsregeln keiner Sünde schuldig gemacht. Selbst wenn sie in Erdane bei der Anwendung ihrer Magie ertappt worden wäre, hätte man sie verbrannt, ohne daß irgendeine ihrer Schwestern in Gefahr geraten wäre. Und schlußendlich war ihr Gespräch mit dem s’Ffalenn auf dem Heuboden in vollkommener Unschuld verlaufen.
    Warum also wurde sie vor Gericht gestellt, als hätte sie sich eines großen Vergehens schuldig gemacht?
    Zerzaust und schmutzig von der Reise ließ Elaira im Angesicht der makellosen Erscheinung ihrer Ältesten den Beutel mit den Schriftrollen sinken und befreite ihre gefühllosen Finger von dem Tragegurt, ehe sie sich ihres schmutzigen Mantels entledigte. Sie knickste und ihre ledernen Reithosen ließen keine Zweifel daran, wie sehr ihre Knie zitterten. Irgendwie gelang es ihr, ihrer Stimme einen ruhigen Klang zu verleihen. »Ich stehe vor meinen Oberen, ihnen zu dienen.«
    Morriel, Oberste Korianizauberin, neigte den Kopf und die Diamanten in ihrem Spitzenhaarnetz schimmerten wie frische Tränen. Sie sprach nicht. Nach der Tradition der Schwesternschaft richtete die Oberste Zauberin niemals das Wort an Außenseiter. Für Schwestern, die ihren Eid gebrochen hatten, galt dasselbe.
    An Morriels Stelle sprach die Erste Zauberin Lirenda in unheilverkündendem Tonfall: »Juniorgeweihte Elaira, du wurdest nach Norden entsendet, um der Matriarchin außerhalb von Erdane eine

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