Der Fluch des Nebelgeistes 01 - Meister der Schatten
hatte, sagte Maenalle: »Dakar hat mir bereits davon erzählt. Du willst auf jeden Fall zum Althainturm Weiterreisen.« Sie schob sich von der Tür fort, zog ein Kniekissen neben dem Kamin hervor und trat verärgert gegen den Saum ihrer Tracht, der sich um ihre Knöchel wickeln wollte. »Die Schwierigkeiten im fernen Sumpf von Mirthlvain erklären noch lange nicht deine vorsichtige Wortwahl.«
»Du willst wissen, ob du dein Amt gemeinsam mit dem Trachtenkleid ablegen kannst?« Asandirs Ernsthaftigkeit löste sich in einem Lächeln. »Die Bruderschaft der Sieben hat Lysaers Anspruch auf den Thron von Tysan noch nicht formell abgesegnet, das ist wohl wahr. Aber nicht, weil der Prinz nicht dafür taugen würde.«
»Nun, dafür sei Ath gedankt.« Maenalle erhob sich und ging durch den Raum. Trotz der festen Sohlen ihrer Reiterstiefel, waren ihre Schritte nicht zu hören. »Wenn ich den Leuten sagen würde, sie könnten nicht feiern, dann würde ich vermutlich einen bewaffneten Aufstand provozieren.«
Bewegt von ihrer zurückhaltenden und dennoch hoffnungsvollen Bemerkung, sprach Asandir offen und hastig weiter. »Wenn Lysaer und sein Halbbruder den Nebelgeist besiegen können, dann wirst du die Krönungsfeierlichkeiten so schnell bekommen, wie wir das herrschende Unrecht beenden können.«
»Sind die alten Geschichten denn wahr?« Als sie ihren Rücken an die Außenwand des Kamins lehnte, wirkte Maenalle plötzlich so hart wie Stahl. »Stimmt es, daß dein Bruder, der damals das Westtor vor der ersten Invasion des Nebelgeistes versiegelt hatte, gebrochen und gelähmt aus dieser Tat hervorging?«
»Ja.« Asandir sah, wie die Spannung ihren Körper erbeben ließ. Er erhob sich, berührte sie sacht am Ellbogen und drängte sie, sich auf den Stuhl zu setzen. Im Gegensatz zu ihrer eisernen Stärke waren ihre Knochen so zerbrechlich wie die eines Vogels. »Ich werde dich nicht mit Platitüden abspeisen. Desh-Thiere ist ein unbekannter und gefährlicher Widersacher. Dakars Prophezeiung sagt deutlich voraus, daß er gebannt werden wird, aber niemand kann sagen, ob die Halbbrüder, die die Last seiner Vernichtung auf ihren Schultern tragen, unversehrt aus dieser Sache hervorgehen werden. Lysaers offizielle Ernennung zum Thronfolger muß warten, bis die Sonne wieder ungehindert auf uns herniederstrahlt.«
Draußen, vor dem mit einem Lederlappen verhängten Fenster, übertönten laute Ausrufe und Gelächter das alltägliche Geräusch der Klingen, die auf einem Schleifstein geschärft wurden. Maenalle brauchte einen Augenblick Zeit, um ihrer Stimme die gewohnte Ruhe zu verleihen. »Was wird aus meinem Clan werden, wenn dein s’IIessid zum Krüppel wird oder womöglich den Tod findet?«
Es widerstrebte Asandir, sich dem ebenso tapferen wie forschenden Blick Maenalles zu ergeben, und er konzentrierte sich auf das Feuer im Kamin. »Wenn Lysaer verletzt wird, dann wird er Nachfahren zeugen. Sollte er getötet werden, dann wissen wir doch mit Sicherheit, daß es jenseits der Tore in Dascen Elur noch andere Teir’s’Ilessid gibt.« Um ihr zu zeigen, wie gut er ihre Sorge verstehen konnte, fügte er hinzu: »Das Königreich Rathain ist weniger begünstigt, denn der Teir’s’Ffalenn, der nun bei uns ist, ist der letzte seines Geschlechts. Aber sei versichert, Maenalle, daß die Bruderschaft der Sieben bis an die Grenzen ihrer Macht und Kraft über die Sicherheit beider Prinzen wachen wird.«
Rückkehr
Für einen Reiter mit leichtem Gepäck dauerte die Reise von Erdane nach Süden zu dem alten herzoglichen Sommerpalast drei Tage. Obwohl ihre Botschaften für die Oberste Zauberin keine Eile erforderten, schaffte Elaira die Strecke in kürzerer Zeit. Ein plötzlicher Kälteeinbruch und die verschlammten Wegstrecken wirkten auf die reisenden Kaufleute abschreckend, zumal die Handwerksgilden ihre Rohmaterialvorräte für den Winter bereits eingelagert hatten. Aus diesem Grund allein auf der Straße, beschloß Elaira, ihr Reisebudget nicht für Übernachtungen, sondern für zusätzliche Pferde einzusetzen, um schneller voranzukommen. Außerdem hoffte sie, daß ihre Ankunft mitten in der Nacht ihr die Möglichkeit geben würde, ein heißes Bad und etwas Ruhe zu bekommen, ehe sie für ihren Besuch in den Vier Raben Rechenschaft ablegen mußte.
Doch das Wetter hatte sich gegen sie verschworen. In der Dunkelheit und dem starken Regen wurden alle Orientierungspunkte unsichtbar, und die Straße, die von Kelsing aus nach Westen
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