Der Fluch des Nebelgeistes 01 - Meister der Schatten
konnte, trotzte sie der Gesellschaft im verräucherten Gastraum der Vier Raben und wartete, bis Dakar einen Namen aussprach. Die Zeit blieb stehen, sprang zurück, blieb erneut stehen, während der Augenblick analysiert wurde, und jeder noch so geringfügige Eindruck wurde herausgearbeitet und untersucht. Irgendwo, in einer verschlossenen Kammer ihres Geistes, schrie sie vor Kummer und Furcht, doch die Befragung wurde unerbittlich fortgesetzt.
Die Vergangenheit wurde zur Gegenwart. Wieder spann sie ihren Zauber, um das Pack der Kopfgeldjäger aufzuhalten. Wieder stand sie inmitten der vollgestopften Regale in der Speisekammer der Vier Raben. Da die Schwester, die zum Wachdienst eingeteilt war, sie erst auf dem Heuboden entdeckt hatte, wurde ihr Besuch bei Enithen Tuer und ihr Gespräch mit Asandir gnädig übersehen; aber die Einzelheiten ihrer Unterhaltung mit Arithon wurden ermüdend lange verfolgt und studiert, bis schließlich der kurze Augenblick, als er ihre Hand berührt hatte, und das Streicheln seiner Finger, als er das Stroh aus ihrem Haar entfernt hatte, schmerzhaft an ihren Nerven sägten.
Jedes Wort, das er gesprochen hatte, jeder Satz, den sie ihm zur Antwort gegeben hatte, wurde wiederholt, auf verborgene Bedeutungen untersucht und schließlich mit ihren späteren Überlegungen während ihrer Reise zurück in den Süden verglichen.
Als ihre Peinigerinnen ihren Willen endlich aus der blauschattigen Gewalt des Juwels entließen, war Elaira nicht länger nur müde, sondern so erschöpft, daß ihr ganzer Körper ihr Schmerzen bereitete. Völlig verwirrt und den Tränen nahe, sammelte sie die Überreste ihres Selbstbewußtseins und ihrer Wahrnehmung zusammen. Zuerst kehrte ihr Gehör zurück, und schon drang Lirendas Stimme an ihr Bewußtsein, die leidenschaftlich über einen Punkt der Befragung sprach.
»… bin ich in dieser Sache noch nicht überzeugt. Möglicherweise verbirgt sie etwas. Ich empfehle dringend, eine tiefergehende Befragung durchzuführen.«
Die quäkende Stimme der Obersten Zauberin unterbrach sie, während Elaira gegen die erdrückende Benommenheit ankämpfte, die sie zu lähmen drohte. Klar und deutlich empfand sie den harten Stuhl unter sich und die eiskalten Füße in den festverschnürten, durchgeweichten Stiefeln, als sie mühevoll Luft in ihre Lungen sog, um dem Gefühl entgegenzuwirken, ein schweres Gewicht läge auf ihrem Brustkorb. Trotz ihrer Erschöpfung war sie sich der Tatsache bewußt, daß sie Asandirs Vertrauen nicht enttäuscht hatte, doch mußte sie sich eingestehen, daß ihre Inquisitorin sie lediglich zu den Ereignissen befragt hatte, während derer ihre überwältigende Sorge um Arithon s’Ffalenn jeden anderen Gedanken aus ihrem Bewußtsein ausgeschaltet hatte. Furcht erfüllte sie bei dem Gedanken an eine zweite Befragung, würde das Schicksal sie doch kaum zweimal verschonen.
Geistig und nervlich am Ende ihrer Kräfte, ließ sich Elaira schließlich zu rebellischen Tönen hinreißen. »Was um alles in der Welt sollte eine zweite Befragung bringen?« Ihr Augenlicht kam und ging und wurde beständig von dunklen Flecken überlagert. »Mein Körper schmerzt vor Erschöpfung, und meine Muskeln sind so steif, daß es schon eine harte Prüfung ist, hier nur zu sitzen. Wenn ich in Ungnade gefallen bin, so nennt mir doch meine Strafe und laßt es gut sein. Schließlich habe ich mir in Erdane lediglich einen fehlgeleiteten Weg, Wissen zu erlangen, zu Schulden kommen lassen.«
»Sag ihr, sie möge schweigen!« Morriels unbewegte Augen waren starr auf einen Punkt über Elairas Kopf gerichtet. »Die Eingeweihte hat keine Veranlassung zu solcher Unverfrorenheit. Sie hat sich zu einer Liaison mit dem Teir’s’Ffalenn hinreißen lassen, doch sie ist emotional so wirr, daß ihr ihre Verfehlung nicht einmal bewußt wird. Ich sollte wohl daran erinnern, daß sie als Korianischwester sich von jeglicher Beziehung zu Männern fernzuhalten hat, ganz gleich, welch edlen Blutes der Auserwählte auch sein mag.«
Elaira senkte den Kopf. Ein Bruderschaftszauberer hatte auf ihre Weisheit vertraut. An seine hohen Erwartungen gebunden, verkniff sie sich eine heftige Entgegnung und verbarg ihren Trotz hinter einer Fassade der Ergebenheit.
Die Stille im Raum hielt an.
Lirenda schien ein wenig enttäuscht zu sein. Nach einiger Zeit sagte Morriel: »Ich werde später urteilen. Informiere die Sünderin.«
Steif vor enttäuschter Erwartung, legte die Erste Zauberin ihren Schleier ab.
Weitere Kostenlose Bücher