Der Fluch des Nebelgeistes 01 - Meister der Schatten
Botschaft zu überbringen. In deinen Anweisungen war nicht von Tavernen, Bordellen oder Kartenspielen mit betrunkenen Propheten die Rede, die gemeinsame Sache mit Zauberern der Bruderschaft machen.«
Von ihrem beschleunigten Herzschlag leicht schwindelig, griff Elaira auf die einzige Ausrede zurück, auf die sie sich besinnen konnte: »Ich wurde angewiesen, zu beobachten und von den Neuigkeiten im Lande zu berichten.« Dakar hatte ihr in fünf Minuten mehr erzählt, als die Straßenwächterinnen während einem Monat gespannter Beobachtung in Erfahrung bringen konnten, doch diese Tatsache würde die Oberste Zauberin nur noch mehr erzürnen. Elaira starrte zu Boden. »Ich habe fälschlicherweise angenommen, die Fakten wären von größerer Bedeutung als die Methode, die ich anwende, um Kenntnis von ihnen zu erlangen.«
Morriel zeigte mit einem Finger auf Lirenda. Wie eine gelbe Klaue saß ihr Fingernagel auf einem Bett dünner, heller Haut. »Ethik ist also nicht von Bedeutung?«
Die Erste Zauberin formulierte die kurze Bemerkung Morriels weiter aus: »Niemals in der Geschichte unseres Ordens haben wir uns in Bordellen und Tavernen herumgetrieben, um uns Kenntnis über die Vorgänge in der Welt zu verschaffen. Zu deiner Schande bist du die erste, die so etwas gewagt hat.«
Die Oberste Zauberin klopfte mit dem Knöchel gegen die Ebenholzlehne ihres Stuhles, woraufhin Lirenda zu einem Tisch hinüberging und eine mit Stahlbändern verstärkte Schatulle herbeiholte. Ein ganzes Netz an Schutzzaubern, die sogar einen Menschen mit wenig geschulter Wahrnehmung in Angst und Schrecken versetzen mußten, sicherte das Kästchen. Die Pagen hinter Morriels Stuhl traten unbehaglich von einem Fuß auf den anderen, als die Erste Zauberin die Schatulle auf dem samtbedeckten Schoß der Obersten ablegte.
Die Korianimatriarchin löste nacheinander die Wards. Während einer nach dem anderen nachgab und dabei ein Geräusch verursachte, das an eine überspannte Harfensaite erinnerte, starrte Elaira verzweifelt die beiden Knaben an. Wenn sie wegen ihres Geschlechts auch nicht zur Ausbildung zugelassen wurden, so hatten diese Kinder doch genug Zeit in einer Umgebung voller geheimnisvoller Mysterien zugebracht. Was auch immer sie im Zusammenhang mit dieser Schatulle beobachtet haben mochten, es reichte, um sie am ganzen Leibe zittern zu lassen.
Lirenda nahm der Obersten Zauberin die unversiegelte Schatulle ab und öffnete den Deckel. Blauglitzernd wie ein Eisklumpen kam das magische Juwel, der Fokusstein von Skyron zum Vorschein. Zwar war die Macht dieses Kristalls nicht annähernd so stark wie die des Amethysten, der als der Große Wegstein bekannt war und seit der Rebellion nicht mehr gesehen wurde, doch würde Elaira trotzdem jede Frage wahrheitsgemäß beantworten müssen, die durch seine Matrix verstärkt an sie gerichtet würde.
Nur ein dünnes Tuch alternativer Umstände lag über ihrem verbotenen Besuch bei Asandir. Nur ein einziger Hinweis, der zu einer Frage über ihre Taten am früheren Abend führen konnte, und schon würde ihr hauchdünnes Alibi aus den Vier Raben zusammenbrechen.
»Fang an!« befahl Morriel, deren finsterer Blick auf ihrer Inquisitorin ruhte.
»Sieh in den Kristall, Elaira«, verlangte Lirenda. »Unterwirf deinen Willen rückhaltlos.«
Die Befragte mußte sich sofort kooperationsbereit zeigen, wollte sie sich nicht selbst belasten, indem sie sich einem direkten Kommando widersetzte. Voller Angst und in dem sicheren Wissen, daß sie das Selbstbewußtsein, das ihre Persönlichkeit bestimmte, für alle Zeit verlieren würde, sollte sie schuldig gesprochen werden, gab Elaira ihren Geist der düsteren Tiefe des Kristalls hin. Sie biß die Zähne zusammen und senkte widerspruchslos ihre inneren Barrieren.
Ein geheimnisvoller Zwang loderte durch ihren Geist und nahm sie gefangen, als säße sie in einer Falle. Für einen Augenblick empfand sie Schwindel, ehe die Halle um sie herum von einer indigoblauen Kraft vernebelt wurde, die ihren Willen unwiderruflich zum Schweigen brachte. Elaira schwebte. Losgelöst von ihrer Umgebung, hörte sie weder Lirendas Fragen noch erkannte sie ihre eigenen Antworten. Statt dessen wurden die Szenen der Vergangenheit wie in einer langsamen Wiederholung aus ihrem Gedächtnis hervorgetrieben und peinlich genau untersucht.
Sie sah das Gesicht Arithon s’Ffalenns, umrahmt von einer Kapuze, um die sich bleiche Hände klammerten; wieder und wieder, bis sie es kaum mehr ertragen
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