Der Fluch des Nebelgeistes 01 - Meister der Schatten
sehr an Schlaf erinnerte, als vielmehr an ein Bündel loser Knochen in einer Decke, und er wandte sich hastig ab. Zum ersten Mal mußte er sich nicht gegen ihn behaupten und fühlte sich nicht gezwungen, Schritt zu halten mit der schnellen Auffassungsgabe seines Halbbruders und der feinen Wahrnehmung der Magier. Er schlüpfte aus seinen Decken heraus und nahm seine Hose und sein Hemd von dem Stuhl neben der Pritsche. Mit der Selbstverständlichkeit eines Prinzen, der sich durch die lebenslange Aufmerksamkeit der Kammerdiener an einen ständigen Mangel an Privatsphäre gewöhnt hatte, schlüpfte er in seine Kleider.
Der schwarzgekleidete Zauberer war aber sowieso zu taktvoll, sich neugierig zu zeigen. Er bewegte sich wie ein Schwertkämpfer, der unter seinen alten Verwundungen litt, als er sein Nähzeug zur Seite legte, seinen entrüstet mit den Flügeln schlagenden Raben auf der Bank absetzte und sich erhob, um das Feuer im Kamin zu schüren. Als eine Flamme aus den umgeschichteten Holzscheiten hervorbrach, erkannte Lysaer Narben auf den Handflächen und Gelenken des Mannes, die einen Geringeren als Krüppel zurückgelassen hätten.
Der Prinz war nicht fähig sich vorzustellen, welch ein Unglück geschehen mußte, um einem Bruderschaftszauberer Leid zuzufügen, also wandte er den Blick ab und begann, seine Manschetten zu schnüren. Wie stets verwickelten sich die Schnüre unter seinen ungeschickten Bewegungen. Peinlich berührt von der Tatsache, daß selbst so ein simpler Akt wie das Anlegen seiner Kleider ihn schmerzlich nach dem Komfort verlangen ließ, den er durch seine Verbannung verloren hatte, zerrte er heftig an den Bändern. Statt sich jedoch seiner Gram hinzugeben, fragte er sich, ob es irgendwo in diesem von Ath verlassenen Land einen Ort geben mochte, in dem Frohsinn und Lachen regierten, in dem die Menschen auf den Straßen tanzten, ohne von Wachleuten kontrolliert zu werden. Er vermißte die angenehme Gesellschaft der Frauen, und mehr als alles andere fehlte ihm seine Verlobte, die er jenseits des Weltentores hatte zurücklassen müssen. Sein Stolz ließ keine Klagen zu, und dennoch kostete ihn der Kampf gegen sein Selbstmitleid ebensoviel Mühe wie das Führen einer schweren Klinge oder die mühsamste Pflicht, die jemals mit seinem Rang als Thronerbe verbunden gewesen war.
Als die Schnüre endlich korrekt gebunden waren, hatte der Prinz seine Haltung zurückerlangt. Als er aufblickte, sah er, daß Traithe mit dem Feuer fertig war. Still wie ein Schatten und eingehüllt in das undefinierbare Mysterium, das stets den machtvollen Geistern anhing, beobachtete der Zauberer ihn aufmerksam. Die Grausamkeit des Lebens hatte seine Züge nicht nur hart werden lassen, sondern beinahe zerstört, so sehr war sein Gesicht von Runzeln überzogen, die Rissen in feinem Kristall glichen. Auch Lachfalten hatten sich in sein Antlitz gegraben, doch sie wurden von anderen überlagert, die von der Sorge in sein Gesicht gemeißelt worden waren. Als hätte ihn eine Laune überkommen, sagte Traithe: »Wir sind nicht alle so schonungslose Zuchtmeister wie Asandir.« Mit einer spielerischen Gebärde hängte er den Schürhaken zurück auf seinen Haken und lächelte.
Verblüfft bis hin zu einem Gefühl unbekümmerter Impulsivität konterte Lysaer: »Beweist mir das.«
»Ich hätte diese Aufforderung kommen sehen sollen.« Mit dem schuldbewußten Gesichtsausdruckes eines Hundes, der seiner Strafe entgegenblickte, wandte sich Traithe um. »Kharadmon sollte derjenige sein, der Euch diesen Beweis liefert, doch er ist schon heute morgen abgereist, armseliger Geist, der er ist.« Mit einer Ermattung, die zunächst gar nicht aufgefallen war, ließ er sich auf einen Stuhl sinken, ehe er seinen Raben mit einem Fingerschnippen auf den angestammten Platz auf seiner Schulter zurücklockte. Aus alter Gewohnheit hob er die Hand und strich dem Vogel mit einem gekrümmten Finger über das Brustgefieder. »Wir könnten Zaumzeug flicken«, schlug er hoffnungsvoll vor. »Hier gibt es genug abgenutztes Zaumzeug, wenn auch nur Ath selbst wissen dürfte, wo Sethvir es verwahrt. Außer Asandir und ich suchen nur Mäuse in den Ställen Zuflucht.«
Erstaunt, wie leicht es gewesen war, ihn zu beruhigen, schenkte Lysaer ihm das Lächeln, das er einst zur Besänftigung schwieriger Staatsgesandter erprobt hatte. »Ich bin nicht sehr geschickt im Umgang mit einer Nadel.«
»So würde es jedem Mann ergehen, der seit eineinhalb Tagen so gut wie nichts
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