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Der Fluch des Nebelgeistes 01 - Meister der Schatten

Der Fluch des Nebelgeistes 01 - Meister der Schatten

Titel: Der Fluch des Nebelgeistes 01 - Meister der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janny Wurts
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weiter!« unterbrach Arithon grob, und seine Sängerstimme klang sonderbar. »Ich bitte Euch, schweigt!« Bleich, ja blutleer, umklammerten seine Hände die Zügel, während er auf der Stute saß und den Ort betrachtete, in dem seine Vorfahren regiert hatten. »Bitte«, sagte er noch einmal mit kaum vernehmbarer Stimme.
    Doch Asandir hatte ihn wohl nicht gehört. »Die paravianischen Türme haben drei Zeitalter des Kampfes überstanden, achtzehntausend Jahre Geschichte. Wegen ihrer Ausrichtung und ihrer schwindelerregenden Höhe haben Sterbliche sie die Sonnentürme oder auch die Türme der Himmelsrichtungen genannt, aber die Alten hatten andere Namen für jeden einzelnen Turm. Der weiße Turm mit der Alabastereinfassung ist Alathwyr, und seine Tugend ist die Weisheit. Der im Osten, der Schwarze, steht für Standhaftigkeit, was dem paravianischen Konzept der Ehrbarkeit entspricht. Der Rosenquarzturm im Süden steht für die Grazie, und der Letzte, dessen grüner Jaspis das Symbol der Erneuerung ist, ist der Kielingturm, dessen Tugend Barmherzigkeit heißt. Wenn die Zivilisation sich von einer dieser Tugenden abwendet, dann wird der jeweilige Turm verfallen, denn die Macht, die die Strukturen der Bauten erhält, liegt in den sich stets erneuernden Tugenden. ›Ithamon‹ bedeutet in der alten Sprache soviel wie ›fünf Spitzen‹, und einst waren es auch fünf. Daelthain, der Turm des Königs, der für die Gerechtigkeit stand, hat früher den höchsten Hügel der Stadt gekrönt. Dieser Turm stürzte an jenem Tage ein, an dem seine königliche Hoheit, Marin Eliathe, von einem Attentäter ermordet wurde. Die Ruine ist im Verlauf der Rebellion noch weiter verfallen, und heute sind nur noch die Fundamente übrig.«
    Hier endete Asandirs Rede, und nur das Klagen des Windes füllte die verbliebene Leere aus. Erst jetzt bemerkte Lysaer, wie fest seine Hände den Sattelknauf umklammert hatten.
    Arithon machte einen in tiefster Seele gemarterten Eindruck. Blind und taub vom Nachhall paravianischer Mysterien, der sich zum ersten Male in Caith-al-Caen in sein Bewußtsein geschlichen hatte, hatte Arithon sein Reittier auf der Straße gewendet, um Asandir entgegenzutreten. Noch war seine neue Verwundung zu frisch, seinen Groll zu erregen, doch schlug sie sich in seinen angespannten Zügen nieder, und seine Stimme klang rauh, als er sprach: »Ath, sei mir gnädig, wie soll ich das bloß ertragen?«
    Der Zauberer saß hochaufgerichtet und steif wie Daelion, der Herr des Schicksals, auf seinem Rappen. »Ich werde Euch antworten, wenn es Sorge ist, die Euch zu dieser Frage veranlaßt, Prinz von Rathain.«
    Voller Zorn wich Arithon zurück. »Nicht nötig, Zauberer. Wo auch immer ich mich hinwende, scheine ich doch stets der Bürde des Verfalls gegenüberzustehen. Nun, der Kummer hat mein Herz schon vor langer Zeit aus der Brust gerissen, und seitdem trage ich den Schmerz gleich einer schlimmen Wunde, die nicht heilen will.«
    Mörderisch heftig rammte er der Stute die Absätze in die Seiten. Ihre strapazierten Nerven gaben nach, und die Stute verdrehte die Augen, bis das Weiße sichtbar wurde. Gleich darauf bäumte sie sich auf. Arithon ließ die Zügel locker, trat sie erneut und schrie etwas, das wie eine tränenerstickte Obszönität klang. Seine Hände zerrten an den Zügeln, und sein Pferd drehte sich auf der Straße herum, ehe es schließlich blindlings davonrannte.
    Pferd und Reiter donnerten über den verfallenen Brückenbogen, der sich über das ausgetrocknete Bett des Severnir zog, und verschwanden mit irrwitziger Geschwindigkeit in den Ruinen der Stadt.
    Dakar preßte eine Bemerkung zwischen den Zähnen hervor, woraufhin sein Schecke zu stampfen begann. Schockiert über die Wildheit seines Halbbruders und verwirrt über die Vorgänge, die zu verstehen es ihm an Hintergrundinformationen mangelte, wendete Lysaer sein Pferd, um dem Zauberer entgegenzutreten. »Warum habt Ihr ihn provoziert?«
    Milde, doch voller Kummer sagte Asandir: »Diese Stadt hat sieben große Tragödien und drei Zeitalter Geschichte erlebt. Für Euch mag das lediglich eine Menge Staub sein, aber für jene, die weiter blicken können, bedeutet das Weisheit, die unter Schmerzen erworben wurde; Weisheit, für die Männer ihr Blut und Leben hingegeben haben; Weisheit, die sich auf den Paravianern gründet, die wieder und wieder das Versagen der Sterblichen erduldet haben, bis die Risse in ihrer Welt zu groß geworden sind, um ihnen noch länger

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