Der Fluch des Nebelgeistes 01 - Meister der Schatten
ein weiteres Mal zu versuchen, Asandirs Handlungen in Ithamon zu beobachten?«
Heiseres Gelächter ertönte über der Nische. »Der Gedanke gefällt dir, was?« Für einen Moment starrte Morriel in weite Ferne. »Auch ich finde Vergnügen an dem Versuch.« Ein Schnippen ihrer dürren Finger rief einen der Pagen herbei. »Bring mir die Truhe mit dem magischen Juwel von Skyron! Schnell!«
Ohne von den beiden Zauberinnen eines Blickes gewürdigt zu werden, verbeugte sich der Knabe, ehe er zur Tür hinaushuschte. Während seine hastigen Schritte auf dem Korridor verklangen, strich sich Morriel mit dem Fingernagel über das Kinn. »Ich könnte die Macht des Fünften Weges anzapfen und den Strudeln folgen, die von den Ereignissen in Ithamon geschaffen wurden, doch das muß mit Umsicht geschehen. Unsere Bemühungen müssen mit dem Puls des Landes selbst verschmelzen, bis das Glück uns hold sein wird und Asandir seine Prinzen allein läßt.«
»Aber sie befinden sich in einem der Türme der Himmelsrichtungen«, widersprach Lirenda. »Mit welcher Macht wollt Ihr denn die paravianischen Schutzzauber überwinden?«
Scharf wie Dolche blickten die Augen der alten Oberin. »Defätistische Eigenschaften machen sich in deinem Amt nicht gut.«
Lirenda neigte das Haupt. »Ich stehe in Demut vor meiner Obersten.«
Morriel verzog angewidert das Gesicht. »Sei nicht scheinheilig.« Sie verlagerte ihr Gewicht, wobei ein Wirbel aus Kräuteraromen und Mottengift aus ihren Kleidern aufstieg, und faltete ihre runzligen Hände im Schoß. »Bei all deinem Ehrgeiz übersteigen deine Ambitionen doch noch immer deine Kenntnisse.«
Plötzlich war es in dem Raum kalt wie in einer Gruft. Gefangen in ihrer unterwürfigen Haltung mußte Lirenda ihren Ärger unterdrücken. Die Oberste Zauberin war bekanntermaßen schwierig, wenn das Wetter ihr schmerzhaft in die Knochen fuhr. Nur ein Dummkopf würde sich in ihrer Anwesenheit seinem Zorn hingeben, also behielt Lirenda ihre ergebene Haltung bei, bis sie ihre Oberin schließlich erweicht hatte.
»Würdest du nicht so versessen darauf sein, meine Nachfolge anzutreten, dann würdest du überhaupt nichts taugen. Sollte dich aber der Neid auf die Macht der Bruderschaft treiben, Asandir zu demütigen, so sei gewarnt. Du wirst die Folgen tragen müssen, die eine solche Schwäche strafen werden. Du darfst dich erheben.« Die Ringe an Morriels Händen blitzten auf, als sie ihrer Ersten Zauberin zuwinkte, sich auf den Fußschemel neben dem Herd zu setzen.
Im ganzen Zimmer gab es keinen anderen Stuhl; die Pagen mußten ihre Wartezeit kniend auf dem Fußboden verbringen. Lirenda nahm die Unbeweglichkeit schweigend in Kauf. Mochte die Oberin auch mit der höchsten Macht des Ordens vermählt sein, so war doch ihr eigener Geist flink und verschlagen.
Die scharfe Stimme des gealterten Weibes schnitt durch die stickige, nach Lavendel duftende Stille des Raumes. »Wir werden die paravianischen Schutzzauber durch Schlichtheit überwinden, Erste Zauberin. Unsere Waffe wird die Barmherzigkeit sein.«
Lirenda spannte voller Eifer ihre Muskeln an. »Arithon hat den Kielingturm ausgewählt«, murmelte sie unachtsam laut.
»Ganz richtig.« Statt an dem Lapsus Anstoß zu nehmen, fuhr Morriel fort: »Der Teir’s’Ffalenn hat uns unwissentlich einen Zugang offengelassen, dank der Eskapade unserer Novizin Elaira in Erdane. Unsere Befragung in bezug auf ihr Fehlverhalten auf dem Heuboden der Vier Raben hat ein unverwechselbares Zeichen unschuldiger, bedingungsloser Liebe zutage gefördert.«
Das war der Hinweis, den Lirenda übersehen hatte und den sie wohl kaum je einer näheren Betrachtung für wert befunden hätte. Sie verfluchte ihre Engstirnigkeit, als die Logik ihr die diabolische Symmetrie dieser Vorgehensweise offenbarte. Asandir konnte nicht ständig auf die Prinzen aufpassen, während diese den Nebelgeist bekämpften. Mit der übertriebenen Ehrfurcht, die alle Bruderschaftszauberer jeder Spur paravianischen Wirkens entgegenbrachten, würde er sich gewiß darauf verlassen, daß die Wards des Kielingturmes jeden unerwünschten Beobachter fernhalten würden, solange er nicht zugegen war. Seine Prinzen sollten vollkommen unantastbar sein, und das wären sie auch, hätte es nicht eine Besonderheit gegeben.
»Die Schutzzauber des Kielingturmes werden keine Bedrohung erkennen, wenn unser Vorstoß sich hinter der in unserem Kristall gespeicherten Sorge Elairas um Arithon verbirgt. So werden wir durchkommen«,
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