Der Fluch des Nebelgeistes 01 - Meister der Schatten
ich habe sie nie zu einem Mord benutzt. Nicht einmal, um meinen König zu retten.«
Seine Schreie lockten die Wachen herbei. Die Kerkertür krachte gegen die Wand und erfüllte die Dunkelheit mit Echos. Der Kommandeur der königlichen Hellebardiere blickte auf den verzerrten, bebenden Leib des Gefangenen herab. »Das ist Dharkarons Rache. Er ist im Delirium.«
Flatternd öffneten sich die dunklen Augen Arithons im Licht der Laterne. Männer beugten sich über ihn. Kettenhemden und Goldbänder bildeten einen Sternenhimmel aus Reflexionen über seinem Kopf. Sein ganzes Blickfeld wurde von Waffen erfüllt, die zum Töten geschmiedet worden waren; mit Riemen an Schultern, Handgelenken und Gürteln befestigt, glänzten sie so feurig wie das Tor der Verdammten. Hände in Panzerhandschuhen streckten sich ihm entgegen und berührten seine schweißnasse Haut.
Arithon zuckte zurück. Ketten kreischten auf dem Boden, als er einen Arm vor sein Gesicht legte.
»Er fiebert«, sagte jemand.
Arithon wußte, daß das nicht stimmte. Ihm war kalt, furchtbar kalt vom Griff des Stahls, der sein Handgelenk gegen seine Wange preßte. Sein Blut schien langsam in den Adern zu erstarren.
»Hol den königlichen Heiler«, sagte eine laute, drängende Stimme. »Schnell!«
Finger griffen nach Arithons Armen. Der drogengeborene Dämon in seinem Kopf schrie auf. Niemand sollte ihn zum Zeitvertreib für Amroths Höflinge retten! Arithon schlug um sich, und die ungezügelte Wut seiner Hiebe erwischte die Wachen unvorbereitet. Halb aus seinen Fesseln befreit, griff er nach dem nächsten Beinpaar. Ketten schlugen, klirrten unter der Wucht der gewaltigen Schläge.
»Nach Sithaer sollst du verdammt sein«, fluchte der verwundete Gardist und versetzte Arithon einen Tritt. Sein Stiefel traf den Kopf des Gefangenen, und die Decke senkte sich auf Arithon und ließ das Licht der Fackeln, die Männer und ihre Stimmen in Dunkelheit versinken.
Das Bankett zur Feier des Todes der letzten s’Ffalenns war ein außergewöhnliches Fest, wenngleich die Arrangements kaum Beachtung fanden. Der König selbst war Zeremonienmeister des Festes. Gehüllt in kostbaren blauen Brokat mit nur wenigen weißen Strähnen im roten Haar, drängte er seine Gäste mit ausholenden Gesten, an seiner Freude teilzuhaben. Auf einem Gestell vor dem königlichen Podium waren Flaschen besten Weines aufgebaut, eine für jeden s’Ilessid, der durch die Hand eines s’Ffalenn zu Tode gekommen war. Da auch Cousins zweiten und dritten Grades und hochgestellte Persönlichkeiten des Reiches mitgezählt worden waren, hatte sich über die sieben Generationen des Kampfes eine beachtliche Anzahl Weinflaschen angesammelt. In aller Eile waren Schiffe zum benachbarten Herzogtum gesandt worden, als sich der königliche Vorrat als ungenügend erwiesen hatte.
Herausgeputzt in feinsten Kleidern hatten sich die Höflinge in der Festhalle versammelt, um so lange zu trinken, bis auch die letzte Flasche geleert worden wäre. Die Stimmung war selten so gut wie an diesem Tag, und schon als das Dessert serviert wurde, lagen nicht wenige der Fürsten schnarchend unter den Tischen. Selbst die besonnensten Gäste waren in wilder Stimmung zu feiern. Um Mitternacht betrat der Heiler, noch immer in seinem Arbeitsgewand, den Saal. So unschön wie Mehltau in einem Blumenbeet suchte er sich seinen Weg durch die Bänke und Tische, bis er schließlich mit einer Verbeugung zu Füßen seines Herrn und Gebieters stehenblieb.
»Euer Hoheit, ich bitte sprechen zu dürfen. Es betrifft die Gesundheit Eures Gefangenen.« Dem Heiler war das plötzliche Schweigen der Höflinge um ihn herum unangenehm. Er haßte es, die Festlichkeit mit unangenehmen Nachrichten unterbrechen zu müssen, doch eine grausame, erschöpfende Stunde im Südkerker hatte seine Geduld vollends erschöpft. »Der s’Ffalenn leidet unter schweren Entzugserscheinungen von der Droge, der er während seiner Überfahrt auf der Briane ausgesetzt war.«
Mit einer Geste brachte er die Musikanten zum Schweigen. Inmitten der Reflexionen brennender Wachskerzen auf goldenem Geschmeide verstummten die Gespräche, endeten die Tänze, erstickte das Lachen in der großen Halle. Unheimliche Stille legte sich über den Raum.
»Wie schlimm steht es um ihn?« verlangte der König zu erfahren, und seine Stimme klang entschieden zu sanft.
Der Heiler war sich der Gefahr wohl bewußt und wägte seine Worte sorgfältig ab. Sechs Soldaten hatten Arithon festhalten müssen,
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