Der Fluch des Nebelgeistes 01 - Meister der Schatten
Einflußbereich eines Magneten. Ruhig, dachte er und zwang sich selbst, daran zu glauben. Solange er nicht in der Lage war, sich mental vollkommen von den körperlichen Qualen des Drogenentzuges abzuschotten, konnte er die Zersetzung des Giftes weder beeinflussen noch verfolgen. Wenn er auch nur ein einziges Mal seine Selbstdisziplin verlor, würde er in geistiger Umnachtung versinken, leiden wie ein Tier und wahrscheinlich nie mehr zurückkehren.
Arithon schloß die Augen. Stück für Stück isolierte er seinen Geist von dem Chaos, das seinen Leib beherrschte. Benommenheit störte seine Konzentration, und seine Muskeln verspannten sich, bis er laut keuchend nach Luft schnappte. Der Versuch, seinen Willen der überwältigenden Schwäche aufzuzwingen, raubte ihm das Bewußtsein.
Er erwachte unter Qualen. Heftig zitternd und von noch mehr Krämpfen geschüttelt, suchte er nach den Fetzen seiner Persönlichkeit, um die Kontrolle wiederzuerlangen, doch seine Anstrengungen führten ihn nicht in einen sicheren Hafen, sondern öffneten gar noch die Fluttore der Verzweiflung.
»Nein!« Arithons gepeinigtes Flüstern hallte von den Wänden zurück und erstarb. Seine Gedanken verloren sich in ein Delirium, als sich die Vergangenheit erhob, ihn lebhaft und erbarmungslos umfaßte und mit den scharfen Kanten zerbrochener Träume durchdrang.
Fünf Jahre verschwanden im Nebel. Noch einmal fand Arithon Ausgeglichenheit, als er sich mit einer Entscheidung konfrontiert sah und ohne einen Gedanken an die bitteren Folgen seine Wahl traf. Von einer Schneeballschlacht mit den anderen Schülern von Rauven zurückgerufen, saß er auf dem bestickten Betkissen im Studierzimmer seines Großvaters. Eis taute an seinen Stiefeln und verdampfte auf dem Stein vor dem Ofen; der Geruch von Tinte, Kalk und alten Schriften umgab ihn in jener Stille, die er zu diesem Zeitpunkt viel zu wenig gewürdigt hatte.
»Ich habe von deinem Vater gehört«, begann der Oberste Magier.
Arithon sah auf, unfähig, sich dem Ansturm eigensinniger Aufregung zu entziehen. Endlich hatte sich Avar, König von Karthan, entschlossen, die Existenz seines Sohnes anzuerkennen, der bei den Zauberern von Rauven aufwuchs. Dennoch blieb Arithon still. Er wagte es nicht, sich vor dem Obersten Magier ungehörig zu verhalten.
Der Zauberer betrachtete den Knaben zu seinen Füßen mit seinen dunklen, leidenschaftslosen Augen. »Dein Vater hat keinen Erben. Er bittet mich, dich als seinen Nachfolger zu benennen.« Lächelnd hob der Oberste Magier, die Hand und gebot Arithons Drang zu antworten Einhalt. »Ich habe ihm bereits geantwortet. Du hast nun noch zwei Jahre Zeit, um selbst zu entscheiden.«
Nun vergaß Arithon seinen Anstand. »Aber ich weiß es schon jetzt!« Oft hatte er davon geträumt, die Krone seines Vaters zu erben. »Ich werde nach Karthan gehen und meine magischen Kräfte nutzen, um das Wasser unter dem Sand zu befreien, damit das Land wieder erblühen kann. Wenn erst einmal Korn auf den Feldern wächst, dann gibt es keinen Grund mehr für Piraterie, und die Blutfehde wird beendet sein. Dann können die s’Ffalenns und die s’Ilessids endlich aufhören zu kämpfen.«
»Das sind hochgesteckte Ziele, mein Junge«, entgegnete der Oberste Magier zurückhaltend. »Aber du solltest nichts überstürzen. Deine Talente liegen in der Musik und in der Zauberei. Das mußt du stets bedenken, denn du verfügst über ein großes Potential. Ein König hat keine Zeit für diese Künste. Als ein Mann, der Richter über andere ist, gehört sein Leben ganz und gar seinen Untertanen.«
Die Warnung des Obersten Magiers grollte donnernd durch Arithons Kopf. Dummkopf! beschimpfte er sein jüngeres Selbst. Du wirst nur versagen. Doch die von Drogen verursachte Vision brach wie die Brandung des Meeres in sich zusammen und nahm seinen Protest mit sich. Der Knabe aber wurde zu einem anderen Zeitpunkt geschleudert und fand sich erneut in demselben Raum wieder. Nun war der Zeitpunkt für seine Entscheidung gekommen, und er kniete erneut zu Füßen des Obersten Magiers, um dem Heim, das er seit zwanzig Jahren gekannt und geliebt hatte, zu entsagen.
»Wie kann ich bleiben?« hörte Arithon sich, den Magiermeister, gereift und weiser, sagen. »Wie kann ich weiter in Rauven Musik und Bücher studieren, während das Volk meines Vaters, mein Volk, seine Ehemänner und Söhne ausschickt, damit sie um ihres Überlebens Willen töten? Wie sollte ich es wagen, einen solchen Mangel zu ignorieren?
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