Der Fluch des Nebelgeistes 01 - Meister der Schatten
Vielleicht kann ich Karthan neue Hoffnung für einen dauernden Frieden bringen.«
Arithon sah auf, blickte in das Gesicht des Obersten Magiers und las das schreckliche Verstehen. Höre auf dein Herz, flehte sein gegenwärtiges, drogenbenebeltes Selbst. Vergiß die Regentschaft. Entsage dem Erbe deines Vaters. Karthan mag von Küste zu Küste erblühen, aber Amroth wird sich nie von seinem Haß lösen. Willst du die Rache s’Ilessids für den Ehebruch deiner Mutter erleiden?
Doch die Zeit verschwamm erneut. Arithon hörte sich einen Eid der Anerkennung sprechen, fühlte die starke, schwielige Hand seines Vaters auf seinem dunklen Haar. Voller Stolz und Tatendrang erhob er sich und nahm vor den wettergegerbten Augen der Kapitäne Karthans Avars Schwert als Zeichen seiner Nachkommenschaft entgegen.
Die Waffe war wunderschön. Die Erinnerung an den rauchdunklen Stahl kühlte Arithons Hände, und die silberne, eingearbeitete Inschrift, die sich über die ganze Länge der Klinge zog, ließ ihm den Atem stocken. Der Legende nach war seines Vaters Schwert von Händen geschmiedet worden, die kunstfertiger als die eines Menschen waren; in diesem Augenblick glaubte Arithon die Geschichte, doch die Durchführung seiner Entscheidung gestaltete sich schwierig.
Erneut kniete er plötzlich wieder vor dem Obersten Magier. Der Smaragd im Griff des Schwertes, das zu Füßen des alten Zauberers lag, glitzerte in grünem Feuer. »Bewahre diese Klinge hier in Rauven, um mein Gelöbnis zu besiegeln. Ich werde nach Karthan gehen und den Frieden wiederherstellen.«
Vorsichtig erhob sich Arithon, doch nun fürchtete er den Blick in seines Vaters Antlitz; fürchtete den Zorn, den er dort finden könnte. Aber die Kapitäne Karthans brachen in Jubelrufe aus, und Avar lächelte seinen Nachfolger mehr als nur billigend an. Arithon hatte zu Zeiten seines Fortganges kaum vermocht, die Abschiedsworte des Magiers zu hören, der ihn aufgezogen hatte, nun donnerten sie gleich den Hörnern des Dharkaron durch seine derzeitige Existenz und spotteten den verlorenen Hoffnungen, folterten ihn mit der Erkenntnis seiner gegenwärtigen Lage.
»Mein Enkelsohn, du hast die Verantwortung deinen inneren Gaben vorgezogen. Das ist ein schwerer Schritt. Ob du auch gewinnst oder verlierst, in jedem Fall begibst du dich in den Dienst für andere, und wenn die Menschen sich auch von einem Barden oder Zauberer begeistern lassen, so lassen sie sich von ihm doch nicht führen. Nie darfst du die Mysterien der Meister, die du in Rauven gelehrt worden bist, zum politischen Eigennutz mißbrauchen, ganz gleich, wie schwer die Versuchung auch wiegt. Du mußt dein Königreich zu der gleichen harmonischen Balance führen, die du einst in jenen Gaben gesucht hast, denen du nun entsagen willst. Die Ballade, die du schreibst, das Schiff das du führst, muß von nun an in dem Land und dem Herzen Karthans wurzeln. Möge Ath deine Mühen segnen.«
Verstört über die Vision der letzten Umarmung seines Großvaters, kämpfte Arithon gegen das Vorwärtsströmen der Zeit an. Doch die Zügel des Deliriums ließen seinen Zugriff kraftlos ausfallen. Wieder segelte er, und wieder ertrug er Karthans schreckliche Not. Weinend erlebte er noch einmal den stillen Kummer der Witwen, nachdem sie die Gefallenenlisten gelesen hatten. Tränen rannen über Wangen, die zu stolz waren, das Antlitz der Trauer zu verbergen.
Gequält schrie Arithon beim Anblick einer Flotte unter dem Leopardenbanner s’Ffalenns auf. »Haltet Sie auf. Jemand muß sie aufhalten!« Unendliche, sinnlose Wut verlieh ihm die Proportionen eines Giganten. Mit Händen, so groß wie Berge, griff er zu, um die Zweimaster im Hafen festzuhalten. Da waren Söhne, Väter und Brüder an Bord, die nie mehr zurückkehren würden. Doch der Wind lebte auf und blies in die schmutzigroten Segel; die Schiffe entglitten seinen entkräfteten Fingern.
Die Transformation von Karthans verödetem Ackerland war zu langsam von statten gegangen, um Regen herbeizuführen: eine letzte Reise war notwendig, um Rauven um die Hilfe eines weiteren Magiers zu bitten. Gefoltert von grauenhafter Reue, roch Arithon das Blut und den Mord an seinem Leibe. Laut hallte sein Schrei durch seine Zelle, während die Schlacht, die das Leben seines Vaters und seine Freiheit gefordert hatte, in seinem Geist noch einmal auflebte. Blind vor Reue wurde er erneut in den Strudel der Gewalt gezerrt und schrie wieder: »Ich habe Zauberei mißbraucht, Ath ist mein Zeuge. Aber
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