Der Fluch des Nebelgeistes 01 - Meister der Schatten
Baumstämmen standen um eine Feuerstelle aus Steinen herum. Vor einem natürlichen Krater im Felsen war ein provisorischer Zaun errichtet worden. Moosbewachsene Überreste von Steinmauern zeugten von Hütten und einem Gasthaus, die in einem längst vergessenen Konflikt vor langer Zeit dem Erdboden gleichgemacht worden waren. Kaum waren die Pferde abgesattelt und Dakar ausgesandt, Holz zu sammeln, da kniete sich Asandir schon mit etwas Zündholz an der Feuerstelle nieder und wischte die Asche der letzten Reisenden fort. Als Lysaer sich neben ihn hockte, um ihm zur Hand zu gehen, deutete er hinaus in das schwindende Tageslicht. »Wenn der Nebel sich von dem Tal heben würde, dann könntet Ihr von hier aus Lichter erkennen, die Lichter der Rasthäuser in der Ebene von Karmak. Die Straßen im nördlichen Teil von Korias mögen verwahrlost sein, aber die Handelsstraße aus Atainia führt durch Camris. Dort sind mehr Reisende unterwegs, und an der Ostküste kreuzen noch immer die Handelsschiffe in der Bucht.«
Lysaer starrte in die zunehmende Dunkelheit hinaus, doch seine Augen sahen nur Nebel. Als Abkömmling einer Inselkultur konnte er sich die Weite des Kontinents, die ihm der Zauberer beschrieben hatte, nicht vorstellen. »Es muß schwer gewesen sein, zuzusehen, wie Eure Zivilisation zu einem Schatten ihrer selbst verkam.«
Asandir starrte mit hartem Blick in die Ferne, die Hände still auf die Knie gestützt. »Schwerer, als Ihr es Euch vorstellen könnt, junger s’Ilessid. Aber die Sonne wird wieder auf unser Land scheinen.«
Felirin und Arithon betraten die Höhle und fügten dem staubigen Geruch trockener Holzkohle den Duft heilender Kräuter und nassen Laubes hinzu. Die Wunde am Hals des grauen Hengstes war gesäubert und versorgt. Der Barde trug einen schönen Sattel mit einem silbernen Knauf auf den Armen. Es war sein eigener Sattel, den er an diesem Tag dem Leichnam eines früheren Mitreisenden wieder abgenommen hatte. Asandir hatte sich neue Zügel mitgenommen.
Den Rest der Wagen und Güter hatten sie verbrannt, wollten sie doch verhindern, daß unvernünftige Passanten versuchten, sich an den Hinterlassenschaften zu bereichern, was die Khadrim wohl zu einem weiteren Übergriff veranlassen mochte.
Draußen vor der Höhle frischte der Wind auf und heulte durch einen Hain verkrüppelter Nadelbäume. »Der Winter kommt früh«, stellte Felirin fest. »Scheint, als käme er jedes Jahr ein bißchen früher.«
Ohne sich der Tatsache bewußt zu sein, daß die Verschiebung der Jahreszeiten zu den Auswirkungen der Macht Desh-Thieres zählte, legte er seinen Sattel auf eine der Bänke und nutzte ihn als willkommenes Kissen nach den ermüdenden Stunden zu Pferde. Als Asandirs Mühen schließlich belohnt wurden, und der fahle Schein der Flammen die Höhle beleuchtete, untersuchte der Barde seine Hände und fluchte. Die Fingernägel, die er zum Zupfen der Saiten brauchte, waren von der mühseligen Arbeit des Tages alle abgebrochen. Auch Arithons Hände sahen nicht besser aus. Nachdem sie sich gegenseitig bedauert hatten, faßte Felirin sich ein Herz und stellte eine neugierige Frage.
»Ich kann mich nicht an irgendwelche Strophen über einen Herrn der Schatten erinnern.«
Asandir lehnte sich zurück, und das Licht der Flammen ließ sein Gesicht golden schimmern. »Diese Weise ist noch nicht geschrieben worden.« Dann fügte er freundlich hinzu. »Felirin, es wäre nicht gut, wenn Ihr derzeit in den Tavernen von dieser Sache erzählt, aber Ihr werdet die Sterne und die Sonne noch selbst zu sehen bekommen.«
Der Barde starrte ihn voller Verblüffung an, und seine Zunge war wie gelähmt. Asandir ließ ihm ein wenig Zeit, diese Ankündigung auf sich wirken zu lassen, dann sagte er: »Lysaer und Arithon sind unsere Hoffnung, den Himmel wieder zu befreien, den Nebelgeist zu bannen, wie es Dakars Westtor-Prophezeiung vor fünfhundert Jahren bereits verkündet hat.«
Wie vom Schlag getroffen mühte sich Felirin, eine annähernd gelassene Haltung einzunehmen. Er stieß einen heiseren Fluch aus, ehe er die Reste seiner Würde dazu nutzte, zu fragen: »Wie viele der alten Balladen sind mehr als nur Mythen? Wie viele erzählen von der wahren Geschichte?«
»Die meisten.« Asandir hielt mit feierlichem Gesichtsausdruck für einen weiteren Moment bebender Stille inne. »Ihr seid einer der wenigen Auserwählten, die davon wissen.«
Gerade in diesem Augenblick kehrte Dakar mit einem feuchten Reisigbündel unter den Armen
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