Der Fluch des Nebelgeistes 01 - Meister der Schatten
Pferde, Lastesel – es gab keine Überlebenden. Leichen bedeckten den Felsvorsprung. Verkohlte Kleider klebten an bloßgelegten Knochen, und alles, was noch an Fleisch verblieben war, war in Stücke gerissen worden, zerfetzt von etwas, das nicht daran interessiert war, nur um des Überlebens Willen zu jagen. Beim Anblick einer Frau, deren Unterleib aufgeschlitzt war, und eines Pferdes, dessen Hinterbeine zur Hälfte verbrannt waren hielt sich Lysaer würgend die Hand vor den Mund. Etwas mit monströsen Fängen mußte dem Tier den Kopf abgerissen haben.
Versunken in seine Erinnerungen an den Krieg und die Schlachten, angesichts all der vielen Ermordeten, blickte Arithon sich hastig um. Eine Kreatur, die halbverborgen im Nebel kauerte, trieb ihm das Blut aus dem Gesicht. Es war ein Fabelwesen mit silbrigen Lederschwingen, die sich von dem gepanzerten Brustbein aus in beide Richtungen sechs Spannen weit bis zu den klauenbewehrten Flügelspitzen ausbreiteten.
»Bleibt zusammen!« kommandierte Asandir. Er streckte die Hand aus und beruhigte Felirins scheuenden Hengst mit einer einzigen Berührung, ehe er mit besorgtem Gesichtsausdruck zum Himmel aufblickte.
»Es sind noch mehr von ihnen da, und sie sind nicht weit von hier«, sagte Dakar auf sonderbare und ungewohnt sachliche Weise.
In diesem Augenblick ertönte über ihnen ein schrilles Kreischen. Es war ein unheimliches, klangkräftiges und kompliziertes Geräusch, angefüllt mit einer peinigenden Harmonie, welche die Grenzen menschlichen Verständnisses zu sprengen geeignet war. Weitere Schreie antworteten und hallten von den Felsen wider. Ein riesiger Schatten schoß über die Straße hinweg, und der ätzende Lufthauch, der seinem Flug folgte, ließ alle Pferde der Reisegruppe in panischer Angst erzittern.
»Jetzt, Arithon«, sagte Asandir ruhig. »Schafft Euch genug Bewegungsspielraum und zieht Eure Klinge.«
Die Stute schoß vor, kaum daß ihr Reiter die Zügel gelockert hatte. Arithon mühte sich, ihren Drang, durchzugehen, im Zaum zu halten, doch die Stute war zu aufgeregt, um sich noch beruhigen zu lassen. Sie rutschte auf dem glatten Grund aus, glitt in wilden Pirouetten um die Überreste eines Wagens herum und trat aus. Ein rebellischer Hinterhuf traf das Wrack und löste das Segeltuch von der Ladung. Ein Wirrwarr aus Gewändern ergoß sich über den Boden. Die Ränder der Stoffballen waren angesengt und über und über mit Blut verschmiert. Verschreckt durch die plötzliche Bewegung, den Geruch des Todes und der verbrannten Seide, bäumte sich die Stute auf.
»Arithon!« schrie Asandir. »Das Schwert.«
Ein lauter, schriller Aufschrei aus der Luft direkt über ihnen schnitt ihm das Wort ab. Dem Geräusch folgte ein Widerhall, schmerzhaft in seiner unkalkulierbaren Wildheit, der die Ohren mit seinen nachhallenden Untertönen peinigte. Noch höher bäumte sich die Stute auf und trat mit ihren Hufen in die Luft. Hochaufgerichtet stand sie schwankend auf ihren Hinterbeinen, die Ohren angelegt und den Schwanz vor lauter Panik fest an ihre Schenkel gepreßt. Arithon preßte sich an ihren Hals und beruhigte sie mit Händen und Worten, bis sie wieder auf allen Vieren stand.
Diesen Augenblick der Verwundbarkeit, während Roß und Reiter um ihr Gleichgewicht kämpften, nutzte der Khadrim zum Angriff.
Mit rauschenden Flügeln stürzte er herab, gleich einem mörderischen schwarzen Blitz, stromlinienförmig von den dolchartigen Fängen bis hinab zu den gewaltigen Klauen. Wie ein Speer beschrieb die Kreatur mit dem gespreizten Schwanz einen Bogen, und ihre roten Augen drückten unverhohlene Mordlust aus. Arithon blickte auf. Durch die flatternde Mähne des Pferdes sah er den Alptraum zur Erde hinunterstürzen.
»Das Schwert!« schrie Asandir. Violettes Licht flammte auf, als er die Hände hob, um einen Zauber zu wirken.
Der Khadrim sah den Zauber, breitete seine Flügel wie Segel aus und glitt in die Deckung eines Erdwalles. Ehe der Zauberer ihn treffen konnte, hatte er sich schon umgewandt wie eine schwarzgeschuppte, gewundene Giftschlange. Für einen Moment richteten sich die roten Augen des Monsters ohne ein Blinzeln auf den Mann und das Pferd, die abseits von den anderen standen. Dann öffneten sich die gewaltigen Kiefer, und ein Strom aus Feuer brach aus ihnen hervor.
Flammen züngelten in einem knisternden Wirbelwind und legten sich vollständig über die braune Stute. Für einen Augenblick wurde ihr Reiter zu einer verschwommenen Silhouette, dann zu
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