Der Fluch des Nebelgeistes 01 - Meister der Schatten
sie sich im Laufe des Nachmittags zurechtgelegt hatte, schwand nun unter dem Druck ihres heftig klopfenden Herzens. Sie war ratlos, und sie wußte es. Ehe sie noch weiter darüber nachdenken konnte, sagte sie einfach die Wahrheit. »Ich war neugierig.«
Asandir richtete sich auf. Streng, doch nicht unfreundlich betrachtete er sie, von ihrem schmutzigen Hemd bis hinauf zu ihrem offenen, hageren Gesicht. Sein Blick war durchdringend, und die gewaltige Macht seiner Erscheinung drückte eine ungeheure Zielstrebigkeit aus. Er zog sich einen Stuhl herbei und setzte sich mit dem Rücken zur Tür vor den Kamin. Dann, die Hände auf seinen Knien gefaltet, wartete er.
Heiß schoß das Blut in Elairas Wangen. Mit Takt und großer Geduld überließ er es ihr, ihre Absichten darzulegen. So auf sonderbare Weise von ihrer Furcht befreit, öffnete sie mit noch immer zitternden Fingern den Umhang, der Auskunft über ihren Rang gab, und legte ihn über die Stuhllehne, wobei sie zu glauben bemüht war, daß dieser Zauberer, ganz im Gegensatz zu ihrer Korianiseniorin, kein Urteil über sie zu fällen gedachte; daß er ihre Person nicht in Zweifel ziehen würde.
Also faßte sie sich ein Herz und platzte mit der Wahrheit heraus. »Ich wollte sehen, wollte wissen, ob die Westtorprophezeiung sich erfüllt hat, und ob die Verbannung des Desh-Thiere aus Athera bevorsteht.«
Asandir beobachtete sie mit festem Blick. »Du bist den Trägern dieser Prophezeiung auf deinem Weg zu mir begegnet.«
Er würde ihr nichts erzählen, wenn sie ihn nicht direkt danach fragte. Sie hatte gelernt, daß die Zauberer der Bruderschafts nichts ohne Gegenleistung taten. Begierig, diese Behauptung zu überprüfen, wagte es Elaira, eine Frage zu stellen. »Ich habe festgestellt, daß der Teir’s’Ffalenn in die Künste der Magie eingeführt ist. Ist es das, was ihm die Fähigkeit verleiht, den Nebelgeist zu besiegen?«
Abrupt richtete Asandir sich auf. »Deine Worte klingen nach einer Frau mit Eigeninitiative und Mut. Beides gehört nicht gerade zu den Eigenschaften, für die deine Schwesternschaft bekannt ist.« Er lächelte wohlwollend. »Ich denke, ich werde dir eine Antwort gewähren, Elaira, aber ich erwarte von dir, daß du diese Information mit einer Umsicht behandelst, wie sie deinen Oberen wahrscheinlich nicht gefallen wird.«
Elaira hatte Mühe, ihr Erstaunen darüber zu verbergen, daß ein Bruderschaftszauberer mit all seinen Kenntnissen der Magie offenbar ihre eigene Enttäuschung über die Voreingenommenheit ihrer Schwestern teilte.
Dann aber lenkte der Zauberer sie von diesen Gedanken ab. »Zur Zeit der Rebellion, als vier der königlichen Erben durch das Westtor in Sicherheit gebracht wurden, war die Bruderschaft der Verpflichtung unterworfen, die Teir’s’Ahelas in den Grundlagen des Wissens zu unterrichten, um ihrem Geschlecht eine größere Überlebenschance zu verschaffen. Ihre Nachkommen in Dascen Elur haben diese Tradition fortgesetzt, aber die zugrundeliegenden Richtlinien vergessen. Dennoch ist diesen Magiern in den fünf Jahrhunderten der Isolation gelungen, was die Sieben nicht fertiggebracht haben.«
»Ist so etwas denn möglich?« unterbrach Elaira.
Asandirs silberne Brauen zuckten. »Was möglich ist, muß nicht auch zwangsläufig weise sein.«
Plötzlich kam sich Elaira furchtbar dumm vor.
Doch, statt sie für ihre gedankenlose Äußerung zu rügen, entschloß sich Asandir, ihr von der mütterlichen Gabe zu erzählen, die den beiden Männern eine angeborene Macht über die Elemente verlieh. »Gemeinsam können unsere Prinzen Desh-Thiere besiegen. Doch mußt du wissen, daß ihre Gaben die Gefahr bergen, schlimmeres Übel zu bewirken, als der Geist, den ihre Macht besiegen soll.«
Arroganz erlaubte nicht, Fehlbarkeit einzugestehen, und Verschwiegenheit bot keine Erklärungen; Elaira mußte feststellen, daß der Ältestenkreis der Korianizauberinnen sich in bezug auf die Bruderschaft irrte. Verblüfft hörte Elaira dem Zauberer zu.
»Du hast gemerkt, daß der Teir’s’Ffalenn mit den inneren Disziplinen vertraut ist«, fuhr Asandir fort, den Blick auf seine Hände gerichtet. »Er hat seine Jugend bei den s’Ahelas Magiern verbracht, und ihre Mühen waren an ihm nicht verschwendet. Wir dürfen hoffen, daß die Empfindbarkeit, die seinem Geschlecht eigen ist, ihn dazu bringen wird, die Augen angesichts seiner Verantwortung offen zu halten. Hier aber wird er alle Unterstützung brauchen, die ihm die Bruderschaft bieten
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