Der Fluch des Nebelgeistes 02 - Herr des Lichts
gehen.
Nicht alle würden in den Krieg ziehen. Die hochwohlgeborene Elite, Männer, deren Abstammung sich ohne Makel bis zu den Bürgern zurückverfolgen ließ, die seinerzeit die alte Monarchie gestürzt hatten, fanden sich im Hintergrund des geschäftigen Treibens wieder, das der übergelaufene Prinz verursacht hatte. Ihre Heldentaten, ihr Unfug und ihre lasterhaften Spielereien waren nicht länger das Gesprächsthema in den Salons der Damen. Arithons Name hatte sie verdrängt, und aus Furcht vor seinen Schatten wurden Mätressen und begehrte Kurtisanen plötzlich wankelmütig und wandten sich bevorzugt großen, kräftigen Burschen mit Schwertern und weniger ausgefeilten Manieren zu.
Als Ausgleich wurden die Feste der Jungen und Reichen immer ekstatischer. Von Diegan erfuhr die gnädige Frau Talith Details: davon, wie die Blaublütigsten und die Unverfrorensten Wein getrunken hatten, bis sie torkelten, ehe sie ein Wettrennen zum Wachturm veranstalteten, um herauszufinden, wer der Erste sein würde, der am Klöppel der Baßglocke schwingen konnte. Der Gewinner war wundersamerweise unversehrt geblieben. Die, die, gemessen an der Art ihrer Verletzungen, weniger glücklich davongekommen waren, wurden als Helden gefeiert oder zur Zielscheibe beleidigender Witze, einem beliebten Weg, die Geduld der Menschen zu erproben. Ein Kavalier hatte sich den Knöchel verstaucht. Ein anderer war über ein Geländer gefallen und hatte sich gleich beide Handgelenke gebrochen. Er erschien mit Schienen an den Armen auf den Abendgesellschaften und prahlte, daß die Damen ihn ungefragt küssen konnten, da er schließlich keine gesunde Hand frei hatte, sie abzuwehren.
Früher hätte die gnädige Frau Talith im Mittelpunkt ihrer Bewunderer gesessen, sie angestachelt und sich an ihren dümmlichen Kraftakten, ihre Gunst zu erringen, erfreut. Sie hätte über die geistreichsten Witze gelacht und aufmerksam dem Geschwätz gelauscht, um das Gewirr intriganter Böswilligkeiten zu entschlüsseln, welches sich hinter dem Glanz der besseren Gesellschaft Etarras verbarg.
In dieser Nacht jedoch blieb sie den Feiern fern. Draußen, außerhalb des Ballsaales, in dem die Luft mit Parfum angereichert war, atmete sie die reine Nachtluft. Für sie gab es nichts Schönes an der Dunkelheit; das Licht der Sterne war noch viel zu fremd, um ihr ein Gefühl der Sicherheit zu geben. Das Lachen, der Tanz und das Hackern von tausend Kerzen hätte sie eigentlich anziehen sollen, wie das Licht eine Motte, war doch ihr kostbares Damastgewand neu und ihre Juwelen zwar schlicht, aber betörend.
Doch all die Feste schienen ihr nur mehr alberner Trug zu sein. Vergeblich mühte sie sich, der schleichenden Langeweile zu widerstehen, und noch mehr kämpfte sie darum, ihre Ursache zu leugnen; den Tag, nein, den Augenblick nicht zu benennen, an dem selbst die wildesten Mätzchen der Männer zu einem sinnlosen, leeren Spiel verkommen waren.
Diegan hatte eine ähnliche Veränderung erlebt. Wenngleich Bruder und Schwester nicht die gleichen Gedanken hegten, war doch auch seine Stimmung schon seit Tagen gedrückt. Wo er einst eifersüchtig darauf bedacht war, den Kreis seiner Anhänger zu halten, war nun niemand mehr an seiner Seite, und doch das vermochte ihn kaum zu berühren. Es war, so dachte Talith, als wäre jemand in das Haus ihrer Kindheit eingedrungen und hätte alle Möbel ausgetauscht.
Sie konnte sich der Erkenntnis nicht verschließen, daß ihr Leben trist geworden war, seit Lysaer s’Ilessid in es getreten war.
Talith beugte sich über die Balustrade. Nie zuvor hatte sie Bewunderung erlebt, die nicht aus bombastischer Extravaganz entsprungen war; Humor, der nicht schmähte; Macht, die nicht durch gefühllose Intrigen und Bestechung erkauft worden war.
Die Natur dieses Mannes hatte sich durch die Spirale der Gier dieser Stadt gebohrt und glitt nun forsch voran wie ein scharfes Messer in modernder Baumrinde.
Eine Brise fegte durch den Garten, wirbelte einen Haufen aus Blütenblättern auf und hätte beinahe das Geräusch der Schritte vor ihr verborgen, die sich von der Terrassentür aus näherten. Sie war verärgert. Immerhin hatte sie gleich vier Lebemänner auf ihrem Weg zur Tür abwehren müssen.
»Laßt mich allein.« Kalt und erschreckend unhöflich weigerte sie sich, sich auch nur umzublicken, um zu sehen, wer der Mann war, den sie davonschickte.
Die Schritte stoppten.
Warme Hände streckten sich ihr entgegen und umgriffen sanft die Locken, die über
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