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Der Fluch des Nebelgeistes 02 - Herr des Lichts

Der Fluch des Nebelgeistes 02 - Herr des Lichts

Titel: Der Fluch des Nebelgeistes 02 - Herr des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janny Wurts
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hatte. Durch ihre eigene Unentschlossenheit hin- und hergerissen, fragte sie sich, für welche Loyalität sie noch leiden sollte: die gegenüber Arithon, die sie bereits gebrochen hatte; oder die andere, die sie durch einen Bund mit einem magischen Kristall als Korianizauberin in die Pflicht rief, einem Kristall, den Morriel gewiß nutzen würde, um sie zu zerstören.
    Die Augen geschlossen, in ihren Ohren das Rauschen der See, überdachte Elaira die unveränderlichen Zwänge, die sie in ihrer Not gefangenhielten. War sie einst fähig gewesen, ihre Stimmung durch Leichtfertigkeit und Sarkasmus zu heben, so fraß doch heute Tag und Nacht der Kummer an ihr, einen Mann auf so unvergeßlich intime Weise kennengelernt zu haben. Ihr war keine Erlösung vergönnt. Diese eine Tat, getrieben von lebhafter Neugier, hatte sie zur Ausgestoßenen gemacht, und nun, von Morriel als Werkzeug mißbraucht, um Arithons Motive zu erkunden, konnte sie nicht mehr entkommen.
    Doch damit verbunden war noch eine andere Verantwortung, die sie in Enithen Tuers Stube in Erdane auf sich geladen hatte.
    »Mädchen, du zitterst ja, und das liegt nicht an der Kälte«, sagte eine freundliche Stimme aus dem Schatten.
    Elaira erschrak. Dann schrie sie laut auf, als sich eine Hand sanft auf ihre Schulter legte.
    Der Bettler hatte sie nicht alleingelassen, sondern stand, vor neugierigen Blicken und dem Wind geschützt, neben einem vom Seewasser zerfressenen Felsüberhang. Sein erster Anblick hatte sie getäuscht. Er war ganz in Schwarz gekleidet und trug keinerlei Schmuck, doch seine Kleider waren keineswegs zerlumpt. Was sie zunächst für eine ausgefranste Kopfbedeckung gehalten hatte, entpuppte sich nun als ein Rabe, der mit feuchtem Gefieder zusammengekauert auf der Schulter seines Herrn hockte und sie mit Augen betrachtete, die zu weise für einen Vogel waren.
    »Wer seid Ihr?« platzte sie heraus. Doch noch ehe er etwas sagen konnte, kannte Elaira schon die Antwort. Sein Blick ruhte noch immer auf ihr, und er war zu ruhig und forschend, als daß er eine geringere Wahrnehmungsfähigkeit als die eines Bruderschaftszauberers begleiten konnte.
    Krachend brach eine besonders große Welle in der Bucht. Gischtfinger krochen den Felsen herauf, ehe sie silbrig glänzend wieder zurückfielen.
    Die Stimme des Mannes hatte das gleiche zeitlose Timbre wie das Rauschen der See. »Ich bin Traithe. Sethvir schickt mich, dir Nachricht von der Bruderschaft zu bringen.«
    Als Elaira Anstalten machte, zu sprechen, hielt er sie zurück. Wenn auch sein Gang vorsichtig und lahm war, konnten seine Hände dennoch kraftvoll genug zupacken, um blaue Flecken zu hinterlassen. »Nein. Sprich nicht. Du weißt, daß falsche Worte deinen Eid gegenüber deinem Orden in Gefahr bringen können.«
    Von seiner schonungslosen Offenheit entsetzt, schwieg sie.
    »Du mußt ganz klar verstehen«, sagte Traithe, »daß es meine Absicht ist, dich davor zu schützen, deine Loyalität auf diese Weise zu brechen.«
    Von schuldbewußten Gedanken gepeinigt, mangelte es ihr an Feingefühl. Sie befreite sich aus Traithes Griff und trat zurück. »Meine Oberste Zauberin mag über meinen Gehorsam verfügen, doch nicht über meinen Geist!«
    »Gut gesprochen.« Traithe setzte sich, was seinen Raben störte und zu einem gereizten Flügelschlag veranlaßte. Er hob seine narbige Hand, um das Brustgefieder des Vogels zu kraulen. Dann bedachte er sie mit einem schiefen Blick, gekränkt, beinahe wie ein Großvater, der bei einer kindischen Posse ertappt wurde. »Vergiß nur diese Wahrheit nie, tapfere junge Dame.«
    Doch auch seine Bestätigung der natürlichen Ordnung vermochte ihren Eid, mit dem sie sich mit Leib und Seele an den Fokusstein gebunden hatte, nicht außer Kraft zu setzen. Ein Teil ihrer Selbst, den zurückzuholen Elaira die Macht fehlte, unterstand allein Morriels Kontrolle. Ihre Zerrissenheit zwischen jenen Verantwortlichkeiten, die Traithe umsichtigerweise nicht erwähnte, veranlaßte sie zu einem zornigen Eingeständnis. »Ath, erbarme dich. Ich war sechs Jahre alt, als der Ältestenkreis meinen Diensteid eingefordert hat. Immer wieder behaupten sie, daß die Weitergabe der Macht Beschränkungen unterliegen muß. Aber in jüngster Zeit verdächtige ich die Ältesten, daß sie ihre Schülerinnen deshalb in so jungen Jahren wählen, weil ihre Gaben dann besser formbar sind.«
    Traithe streckte die Hand aus und berührte sie, nur ein kaum wahrnehmbares Streicheln seiner Finger auf ihrer

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