Der Fluch des Nebelgeistes 02 - Herr des Lichts
und stürzte gegen Diegans Pferd. Während er noch darum kämpfte, das Scheuen des aufgeschreckten Tieres abzufangen, fühlte er einen Windzug an seiner Wange. Die Pfeile flogen nicht in Massen, sondern einzeln, abgeschossen von einer geschützten Stelle weiter oben am Berg. Die Schäfte jagten durch das fahle Laub der Birken, wimmerten durch die windstille Luft, um sich, geführt von der böswilligen Treffsicherheit der Clanschützen, in die Reihen der Gestrandeten im Marschland zu bohren.
Diegan brüllte Anweisungen für einen vernünftigen Gegenzug, einen Rückzug ins Wasser, wo sie hinter Felsen und von Sträuchern aufgehaltenen Leibern toter Pferde Deckung nehmen konnten. Doch während er die flache Seite seines Schwertes benutzte, um sein erschöpftes Pferd in das Schilfbett zu treiben, folgten ihm nur wenige erfahrene Männer.
Die Heißblütigen und die jungen Rekruten hingegen wandten sich, getrieben von Blutdurst und Rachsucht, der Quelle des Beschusses zu.
Die Fallgruben und Schlingen, die sie überall erwarteten, forderten ihr unvermeidliches Opfer unter den Leben der Soldaten. Steivens Kundschafter zeichneten sich durch heimtückischen Erfindungsgeist aus, und erneut hielten sie blutige Ernte, und der Wald hallte von den Schreien der Städter wider, die niedergemetzelt wurden und starben, ohne daß sie auch nur einen einzigen Schlag zu ihrer Verteidigung hätten führen können.
Vierhundert Meter stromabwärts durchstreifte Major Pesquils Vorhut zu Fuß das von trübem Wasser überflutete Marschland, durch das sich gelbe Lehmspuren zogen. Dort fanden die Männer Lysaer s’Ilessid. Gestrandet stand er naß und zitternd auf einem Sandhaufen, umgeben von dahinströmendem Wasser. Einer seiner Unterarme war blutüberströmt. Sein Gesicht war zerkratzt, seine Kleider zerfetzt. Auch sein Schwert war scharlachrot, wenngleich seine rechte Hand, die mit hartem Griff den Knauf umklammerte, unverletzt zu sein schien.
Halb dem Stoff entrissen hingen seine Saphire gleich blauen Klumpen von seinem Waffenrock herab und funkelten in kaltem Feuer bei jedem seiner rasselnden Atemzüge. Zu des Prinzen Füßen, so schlammverkrustet wie seine Stiefel, lag der Kadaver seines edlen braunen Wallachs, in dessen schlankem Rumpf ein Pfahl steckte. Seine Kehle war durchschnitten worden, und gierige Fliegen saugten an seinen gebrochenen Augen.
Knietief in dem Strom, der mit seiner Fracht aus Schutt noch immer tückisch war, sprach ihn der Kundschafter, der ihn entdeckt hatte, taktvoll mit so leiser Stimme an, daß er kaum zu hören war. »Euer Hoheit?«
Lysaer wirbelte herum. Ein schwarzer Bluterguß zierte sein Kinn. Der Rest seines Gesichtes war so fahl wie bleiche Knochen, und seine Augen blickten so hell und leer wie seine Juwelen. Unbeholfen mit einem Lumpen verbunden, blutete sein Arm aus einer klaffenden Wunde. Von vorn erkannte der Soldat, daß sein rasselnder Atem durch einen weiteren Bluterguß verursacht wurde, der pflaumenblau gegen die aufgerissenen Metallringe seines Kettenhemdes drückte.
Der Kundschafter, dem Verletzungen nicht neu waren, fügte nun hinzu: »Ihr scheint Euch das Schlüsselbein gebrochen zu haben.«
Er erhielt keine Antwort. Ein kaum wahrnehmbares Zittern erfaßte den Körper des Mannes vom Kopf bis zu den Füßen.
»Das ist der Schock. Ihr müßt Euch setzen.« Der Kundschafter trat eilends vor, darauf gefaßt, daß sein Schützling jeden Moment das Bewußtsein verlieren könnte.
»Nicht hier.« Als gäbe es all die Leichen gar nicht, die wie alte Lumpen das Wasser besudelten, richtete Lysaer seinen Blick wieder auf das Pferd zu seinen Füßen. »Niemals hier.« Hinter ihm rollte ein Klumpen aus Balken und Strauchwerk durch den Fluß. Sonnenstrahlen glitzerten silbrig auf der Spitze eines Langspeeres, dessen nasser Wimpel sich über die Wange eines Leichnams gelegt hatte, der aussah, als hätte er den Mund zu einem Ausdruck ungläubigen Staunens aufgerissen: Sein ganzer Unterkiefer war abgerissen. Lysaer ließ sein Schwert fallen, hob die Hand und bedeckte eine Gesichtshälfte.
Da er aussah, als könnte er jeden Augenblick zusammenbrechen, wagte sich der Kundschafter näher heran und griff nach dem königlichen Ellbogen, den Prinzen zu stützen.
Erschaudernd schrak der Prinz zurück. Lysaers Kopf ruckte hoch. Er riß sich los, und nun sah der Kundschafter mit Grausen, daß sich seine Hoheit keineswegs in einem Zustand der Verwirrung befand, vielmehr litt er unter einer Abscheu vor
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