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Der Fluch des Nebelgeistes 02 - Herr des Lichts

Der Fluch des Nebelgeistes 02 - Herr des Lichts

Titel: Der Fluch des Nebelgeistes 02 - Herr des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janny Wurts
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verharrte.
    »Deine Eltern waren gute Menschen, Jieret. Ich bin stolz, daß ich sie kennenlernen durfte. Vergib mir, wenn ich deinen Erinnerungen an das Beispiel, das sie gaben, nicht immer gerecht werden kann.« Unter seinen Händen zitterte das Kind.
    Taktvoll ließ Arithon ihn gehen.
    Jieret schob seine Ärmel zurück und zog das Schnitzmesser hervor, das er benutzt hatte, um Spielzeug für seine Schwestern zu fertigen. Wie einen Talisman drehte er es wieder und wieder in seinen Händen, während der Prinz von Rathain, sorgsam darauf bedacht, den Tränenfluß des Knaben nicht zu beobachten, auf der Erde kniete, die noch immer von den Hufen schwerer Schlachtrösser aufgeworfen war. »Gib es mir«, sagte er sanft, ehe er den Dolch aus dem Griff des Jungen wand. Mit einer Sorgfalt, die seine ganze Aufmerksamkeit zu erfordern schien, begann er, Runen der Segnung und des Schutzes in den Flußschiefer zu kratzen, der den Steinhaufen krönte.
    Das Muster, das für das Ritual einer magischen Verknüpfung notwendig war, war von einer besonderen Schönheit. Jede Linie nahm die Gedanken in strenger Schlichtheit gefangen und spendete so auf ganz eigene Weise Trost. Während Arithon die komplizierten Winkel, Kreisbögen und verschlungenen Lettern in den Stein ritzte, sprach er: »Ein Königreich und sein Prinz sind stets nur so stark, wie es ihr Behüter ist. Caithdein, wenn du das Alter erreicht hast, so werde ich mich geehrt fühlen, den Eid auf deine Klinge zu leisten. Ich kann schon jetzt sagen, daß du dem Prinzen dieses Landes gedient hast. Wäre dein Mut nicht gewesen, so wäre das königliche Geschlecht von Rathain untergegangen, und deines Vaters edle Taten wären umsonst gewesen.«
    Jieret wischte sich mit dem Handrücken über die Wange. Rotes Haar drang wie Draht zwischen den Lagen des Verbandes hervor, den sie aus dem Stoff des seidenen Hemdes geschnitten hatten, das Sethvir für die Krönungszeremonie angefertigt hatte. Begabt mit der scharfsinnigen Auffassungsgabe seiner Mutter, sinnierte der Knabe unbeirrt über dem Grabe, ehe er sich mit Worten, die nicht zu seinem Alter passen wollten, an den Prinzen wandte: »Euer Hoheit, meines Vaters Leben war nicht vergebens, stand es doch in Euren Diensten. Er hat mich das verstehen gelehrt, als er mir sagte, daß er wüßte, er würde sterben. Eines Tages, vielleicht noch bevor ich das Alter erreicht habe, werdet Ihr mich erneut brauchen.«
    Sonderbar verwirrt hielt Arithon inne. »Nun, was das betrifft, Ath behüte. Ich hoffe, du irrst dich.« Das Symbol auf dem Stein war nun fertig. Er hob die Klinge und studierte die ausgewogene Geometrie des Musters, die er bereits erlernt hatte, als seine Hände kaum alt genug waren, eine Kreide zu halten. Doch anders als bei seinen Kritzeleien auf der Schiefertafel im Studierzimmer seines Großvaters fühlte er nun keinen unterschwelligen Energiefluß. Ob seine Runen im Strakewald von der Macht durchdrungen waren oder ob die Linien nichts weiter als ein hübsches Bild, gemalt aus der Erinnerung, darstellten, konnte er nun nicht mehr feststellen. Das merkwürdige Aufflackern magischer Wahrnehmung, das ihn nach dem Wirken des großen Bannes gepeinigt hatte, war immer schwächer geworden und schließlich ganz verschwunden, bis er nicht mehr fähig war, irgendeine Vision herbeizuführen.
    Die Selbstdisziplin, die er in Rauven erlernt hatte, war ihm geblieben; doch für die Kunst, deren Meister er gewesen war, waren seine Sinne taub und blind geworden. Arithon sah von der Essenz der Bäume und der Luft nun nicht mehr als jeder andere Mann auch.
    Kummer quälte ihn, so schwer, daß er ihn mit niemandem teilen konnte. Nicht zum ersten Mal, seit er sich entschlossen hatte, sein Erbe als Nachfahre der s’Ffalenns anzutreten, vermißte er schmerzlich den Rat seines streitbaren s’Ahelas-Großvaters, der vielleicht noch immer im Hauptturm von Rauven lebte. Doch Dascen Elur und seine riesigen Ozeane lagen weit hinter ihm, verloren für alle Zeit. Hier aber breitete sich ein Land aus, dessen Himmel, dessen Berge und Flüsse Geheimnisse bargen, die er bisher kaum hatte studieren können. Solchermaßen gewaltsam an weiteren Entdeckungen gehindert, fühlte sich Arithon, als wäre ihm ein Arm oder ein Bein genommen worden; oder als wäre er ein Künstler, der inmitten einer Halle voller Meisterwerke urplötzlich farbenblind wird.
    Über dem Hang, im sonnendurchfluteten Gewirr flechtenüberwachsener Baumstämme, erschollen die vielschichtigen

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