Der Fluch des Nebelgeistes 02 - Herr des Lichts
Zornige Schuldzuweisungen heizten Lysaers Gemüt an. Hätte er nicht durch den Blutverlust das Bewußtsein verloren, dann wären weit schlimmere Schrecken als der Tod von siebentausend etarranischen Soldaten über Athera gekommen.
»Euer Hoheit?« unterbrach ein Bote seine Gedanken.
Lysaer blickte auf und erkannte die Uniform mit dem schwarz-weißen Wappen der Kopfjäger. Sofort packte ihn Reue, konnte der Bursche doch schon seit einigen Minuten dort gestanden und darauf gewartet haben, daß er auf ihn aufmerksam wurde. »Hat Pesquil dich geschickt?«
»Die Wagen sind bereit, abzufahren, Euer Hoheit.« Verlegen ob der intensiven Aufmerksamkeit Lysaers betrachtete der Bursche das Gras, das an dieser Stelle, nach dem Durchmarsch der Männer auf der Suche nach ein wenig Erleichterung von ihren Leiden, niedergetrampelt und schlammbedeckt war. »Major Pesquil sagt, Lordkommandant Diegan sei erwacht. Er erwartet Euch.«
Lysaer sammelte genug Kraft, dem Boten ein beruhigendes Lächeln zu gönnen. »Würdest du mich zu ihm führen?«
Die Miene des Burschen erhellte sich. »Sofort, Euer Hoheit.«
Gemeinsam durchquerten sie das Lager. Der Nebel verzog sich nun rasch. Pferdeknechte hatten die Aufgaben erschöpfter Boten übernommen, hatten sie doch sonst angesichts der so beunruhigend dezimierten Anzahl der Pferde kaum etwas zu tun. Manch ein Signalfeuer war inzwischen gelöscht worden. Inmitten des regen Kommens und Gehens zwischen den schiefstehenden Gerüsten zur Aufbewahrung der Waffen und den großen Offizierszelten, bereitete sich eine berittene Patrouille auf das Ausrücken vor. Die näher gelegenen Gebiete mußten zu Fuß durchsucht werden, waren gesunde Pferde doch Mangelware geworden.
Lysaer würdigte alle Vorgänge mit dem sicheren Blick eines Führers, und wenn er Vorschläge unterbreitete, begegneten ihm die Männer mit fügsamer Achtung und Respekt. Sorgsam achtete er darauf, jeden Gruß mit einem Nicken, einem Lächeln oder, wenn er den Mann kannte, mit einem Namen zu beantworten. Pesquils junger Bote war über die Maßen beeindruckt.
In kleinen Gruppen unterhielten sich die Männer, begleitet von dem Kreischen der Schleifsteine, mit denen die kampferfahrenen Pikeniere ihre Ausrüstung pflegten. Nur wenige bedauerten die Verluste. Die weitaus meisten schliefen, ausgebreitet auf dem feuchten Boden, und längst schon waren ihre Decken anderen Zwecken zugeführt worden, waren als Behelfstragen und Pritschen für die Verwundeten benutzt worden, ehe sie als grobes Verbandsmaterial gedient hatten. Abseits der gelagerten Vorräte, die in aller Eile von den Wagen abgeladen und von den Wagenführern mit Segeltuch bedeckt worden waren, ließen Lärm und Wirrwarr der Nacht allmählich nach. Im hellen Tageslicht waren die grünen Rekruten, die zugesehen hatten, wie ihre Kameraden niedergemetzelt wurden oder ertrunken waren, nicht mehr so sehr darauf erpicht, Erleichterung durch Streiterei und Großmäuligkeit zu suchen. Nur das Kreischen aus den Zelten der Soldatenhuren mischte sich dissonant mit dem Schluchzen der Flüchtlinge aus dem westlichen Tal, die noch immer unter dem Schrecken der Finsternis litten.
Lysaer erkannte, daß das Herz der Armee überlebt hatte. Mit einer behutsamen Vorgehensweise könnte man diese Männer zu einer neuen Truppe von beachtlicher Stärke formieren. Es fehlte ihm nur an einer Ausrede, zu bleiben; seine Autorität stand längst nicht mehr in Frage.
Der Wagenzug, der zurück nach Etarra fahren sollte, wurde zusammengestellt, und seine fünfzig Mann starke Eskorte der Lanzenreiter befand sich in hektischer Bewegung, während die Männer noch in letzter Minute ihre Ausrüstung in Ordnung brachten. Am Kopf der Kolonne flatterte eines der wenigen Banner im Wind, die nicht in den Fluten versunken waren. Pesquil bellte Befehle, unterstrichen von einem wahren Feuerwerk nervöser Gesten, um einen Reiter auszuschicken, der Gouverneur Morfett Bericht erstatten sollte. Ein Maultier stemmte sich gegen seine Halteleine, um zu grasen, auf dem Rücken ein schlaffes Bündel in den Farben der Stadt: Hauptmann Gnudsogs sterbliche Überreste, die in dem Garten der Mausoleen beigesetzt werden sollten, welcher nur den höchsten Ehrenbürgern der Stadt vorbehalten war.
Verwundete, die meisten privilegiert oder von hochherrschaftlicher Herkunft, hockten auf den Wagen. Der wenige Platz, der noch verblieben war, war Männern zugefallen, die über besondere, unverzichtbare Fertigkeiten verfügten oder von
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