Der Fluch des Nebelgeistes 02 - Herr des Lichts
plötzlich von dem Gedanken besessen, daß die oberen Herren der Gilden nicht länger das Recht über das Land ihr eigen nennen dürften. Wie Advokaten fochten sie um ihre Rechte und untermauerten ihre Petitionen durch Streikdrohungen. Erst, als die gedungenen Attentäter, die ihren Sprecher zum Schweigen hatten bringen sollen, versagten, erkannte Morfett, warum. Ein freundlicher Fremder in Schwarz hatte mit verblüffendem Feingefühl Aufruhr unter dem Landvolk gesät. Der Stadtseneschall erließ Befehl, den Mann gefangenzunehmen, nur um festzustellen, daß auch er ein Zauberer war.
Nach diesem Vorfall war der Lordgouverneur indisponiert.
Krank lag er auf seidenen Laken, während, an Politik und Loyalität wenig interessiert, seine Frau und seine Töchter sich mit Näherinnen umgaben, welche mit Brokat, feinstem Seidentuch und perlenbesetzten Borten daran arbeiteten, eine vollständige Garderobe neuer Gewänder zu kreieren.
»Aber das ist die Sensation der Saison!« rief seine Gattin empört durch die Tür seines Schlafzimmers. »Alle wichtigen Persönlichkeiten werden herkommen, wenn wir einen Mann von königlichem Blute beherbergen. Dieser Prinz mag so wenig willkommen sein wie der Teufel selbst, aber deine Töchter werden sich ganz gewiß nicht lächerlich machen, weil sie die Mode der vergangenen Saison tragen.«
Morfett hielt sich stöhnend die Ohren zu. Seine Stadt und sein Haushalt waren seiner Kontrolle entglitten. Von seinem aufgewühlten Magen zu elendiger Untätigkeit verdammt, schloß er, daß Etarras Bevölkerung verhext worden sein mußte: nur fauler Zauber konnte sie bewegt haben, sich von fünf Jahrhunderten ungekrönter Regentschaft abzuwenden. Stürme, Streik, eine Dämonenplage, ja selbst eine Manifestation von Dharkarons Streitwagen wäre ihm lieber gewesen, als diese Heimsuchung der Magier. Der Gedanke, vor einem König niederknien zu müssen, veranlaßte Morfett, sogleich nach seinem Leibdiener zu rufen, auf daß dieser ihm mit dem Nachttopf zu Hilfe eile.
An dessen Stelle erschien der imposante, blaugekleidete Zauberer Asandir, der seinen gereizten Magen auf der Stelle kurierte und jeden Diener in Hörweite losjagte, um eilends offizielle Kleider herbeizuschaffen.
»Steh auf!« Dieser Zauberer brachte ihm nichts von dem vagen Charme Sethvirs entgegen. »Der Rat und die Handelsminister haben sich im Oratorium versammelt, und der größte Teil der Bevölkerung Etarras drängelt sich in begieriger Erwartung deiner Ansprache auf dem Marktplatz.«
Mühsam stemmte der Lordgouverneur seine Leibesmasse hoch, woraufhin er sogleich unerfreulich hastig in sein besticktes Hemd mit den goldenen Schnallen gesteckt wurde. Gern hätte er vorgetäuscht, seine Krämpfe wären zurückgekehrt, doch Asandirs stählerne Haltung schien unempfindlich gegen Täuschung zu sein.
Festlich und zum ersten Mal seit seiner Geburt in geschmackvolle Farben gehüllt, trampelte Morfett, Hüter des Handels, Wahrer der Gesetze und Oberster Herrscher über die Nordgebiete, wie ein verstimmter Bär aus seiner Höhle heraus, um pflichtgemäß den Prozeß in Gang zu bringen, der die Monarchie in Rathain wieder etablieren sollte.
Überblicke
In einem Saal aus Gold und Alabaster berichtet Lirenda, Erste Korianizauberin, ihrer Obersten: »Desh-Thieres Überreste sind in den Höhlen beim Skelsengtor eingesperrt und mit Wards versiegelt worden. Wenn die königliche Herrschaft in Etarra wieder eingesetzt ist, will die Bruderschaft den Nebelgeist zu einem Ort bringen, an dem er dauerhaft sicher verwahrt sein soll. Vielleicht erfahren wir dann, warum sie am Ende zögerlich waren und die grausame Kreatur am Leben gelassen haben …«
Unter den immergrünen Bäumen der Nordgebiete Rathains dehnt sich die Clanversammlung zur Feier des neuen Sonnenlichtes über vierzehn Tage aus; gelangweilt von dem Fest und noch zu jung für den Tanz, stehlen sich zwei Barbarenjungen davon, um sich die Zeit mit spielerischen Überfällen auf die Händler aus Etarra zu vertreiben …
Im Hof einer Taverne im Schatten der schneebedeckten Gipfel des Mathorngebirges tränkt Elaira ihre Stute, während der Pferdeknecht ihr wohlgemeinte Ratschläge erteilt: »Wenn Ihr nach Etarra wollt, so laßt den Koch Eure Satteltaschen füllen. Lebensmittel sind rar auf dem dortigen Markt. Die Postreiter berichten alle das gleiche. Bauern verkaufen nicht an Stadtleute, und das Gerede über Zauberer und Monarchie hat die Handelsgilden in Aufruhr versetzt
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