Der Fluch des Nebelgeistes 04 - Die Saat der Zwietracht
flatterten, suchte sich Elaira unsicheren Schrittes ihren Weg. Vor den Wellenbergen erhob sich, von den Winden umtost, der halbfertige Zweimaster. Weniger weit entfernt erhob sich das massige Kartenhaus, durch dessen rissige Bretterwände winzige Spuren hellen Kerzenscheins herausdrangen. Im Inneren dieses einzigen Gebäudes, das von vier stabilen Wänden umgeben war, hatten sich die prahlerischen Arbeiter der Werft versammelt, um ihr Abendessen einzunehmen, mit ihren Eroberungen anzugeben und auf Würfel zu wetten.
Arithons Arbeiter waren ungebundene Männer. Kaum waren sie für eine Stunde unbeaufsichtigt, ließen sie sich mit Alkohol vollaufen, um die Langeweile niederzukämpfen; durch ihre unterschiedliche Herkunft und allerlei Rivalität in verschiedene Lager gespalten, waren nicht wenige von ihnen stets geneigt, Streit anzufangen.
Elaira wußte wohl, daß jedes blaue Auge und alle verletzten Finger schon am nächsten Morgen ihre Türschwelle passieren würden, um behandelt zu werden, und daß Arithons Besuche ausbleiben würden, während die Opfer der Schlägereien auf Wiedergutmachung beharrten. Schicksalsergeben marschierte sie zu dem Kartenhaus und hämmerte mit der Faust an die Tür.
Funken wie Goldstaub stoben von ihrer Fackel in die Luft. Der Regen floß in Strömen von ihrem durchnäßten Schopf, ihren Ärmelstulpen, dem Umhang und den Säumen ihrer Röcke. Ihr beharrliches Klopfen wurde nicht sofort bemerkt. Schließlich wurden Stimmen im Inneren der Hütte laut, und es vergingen weitere Sekunden, bis ein Stuhl geräuschvoll zurückgeschoben wurde und jemand sich erhob, um die Tür zu öffnen. Knarrend glitt die Pforte auf, und vom Alkohol gerötete Gesichter, stets zu anzüglichen Kommentaren geneigt, starrten ihr, fahl beleuchtet von billigen Talgkerzen, entgegen.
Elaira ergriff als erste das Wort, und ihre Stimme klang hart über den Lärm polternder Zinnkrüge und dröhnender Unterhaltungen. »Holt mir Euren Herrn.«
Bewegung kam in die Meute. Arithon erschien, zerzaust vom Kampf durch das Gedränge, mit einem höflichen, doch neugierigen Gesichtsausdruck.
»Einer der Fischer hatte einen Unfall«, brüllte Elaira über das Tosen des Windes, der ihre Fackel flackern ließ. »Ihr werdet gebraucht.«
Angespannt sog er Luft in seine Lungen. »Ihr irrt, wenn Ihr denkt, ich könnte helfen.«
Jenseits des Armes, mit dem er sich am Türpfosten abstützte, rammten sich zwei stämmige Handwerker gegenseitig die Ellbogen in die Rippen und tauschten lästerlich lüsterne Blicke aus. Gehemmt durch den übermäßigen Mangel an Ruhe und die wenig vertrauliche Umgebung, trat Arithon in den Regen hinaus und überließ die Tür dem Wind, der sie sogleich erfaßte und dröhnend ins Schloß jagte. Er schwieg. Die heftige Brise zerrte an seinen schwarzen Haaren. Erst als der Regen die Strähnen aus seinem Gesicht peitschte, konnte Elaira seine Miene im trüben Schein ihrer flackernden Fackel erkennen.
Angesichts der Mauer vor ihren Augen bemühte sie mit aller Macht die Wahrnehmungsfähigkeit, die sie ihren Künsten als Korianizauberin verdankte. Als sich der Fackelschein ein wenig beruhigt hatte, stand er reglos vor ihr im Regen. Nur die Reflexionen des Lichts spielten mit den Perlmuttkugeln an den Verschnürungen seiner Ärmel. Sein Atem ging schnell und ungleichmäßig. Dennoch fand die Zauberin keine Möglichkeit, seine eiserne Kontrolle zu durchdringen, um herauszufinden, warum er ihrer Bitte mit einer Lüge begegnen sollte, oder welche verborgenen Umstände ihn peinigen mochten.
Wie stets, wenn seine Zurückhaltung ihre Pläne durchkreuzte, konfrontierte sie ihn geradeheraus mit der schlichten Wahrheit. »Der Junge, der gerade geheiratet hat, hat sich mit dem Handgelenk in einem Tau verfangen, als er versucht hat, die Segel einzuholen. Die Verletzung ist schlimm. Gebrochene Knochen, zerfetztes Muskelgewebe und noch eine Verrenkung. Ohne die Hilfe der Magie wird er ein Krüppel bleiben. Die Vereinigung, die zu feiern Ihr gerade erst mit Eurer Musik unterstützt habt, wird wieder gelöst werden.«
Verblüfft schaudernd platzte er heraus: »Aber warum?«
»Das ist hier so Brauch«, sagte Elaira angewidert. Trotz seines unverkennbaren Mitgefühls wagte sie es nicht, ihrem inneren Drang nachzugeben und ihn einfach am Arm zu packen, um ihn von der Hütte fortzuzerren. »Zwar seid Ihr als Meisterbarde auch Rechtsgelehrter, doch auch Ihr könnt kaum die Gesetze jedes einzelnen Hinterwäldlerdorfes kennen. In
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