Der Fluch des Nebelgeistes 04 - Die Saat der Zwietracht
erhoben sich die Wellenkronen jenseits der Bullaugen im Achterschiff in der aufziehenden Morgendämmerung. Der Wind war noch immer frisch. Eine steife Brise aus Südosten veranlaßte die Matrosen, die Segel zu reffen. Bruchstückhaft drangen ihre zornigen Verwünschungen angesichts tauber Finger und von der Kälte steifer Segel in die Kabine.
Die Lampe war erneut verloschen, doch die Heckkabine war keineswegs verlassen.
Auf seine Hände gestützt, stand der Herr der Schatten, umrahmt von dem hellen Schaum der vom Ruder aufgewühlten Wogen am Sims des Fensters. »Bald ist es soweit«, sagte er leise.
Aus der Finsternis antwortete ihm ein Fluch. Jieret Rotbart kam zum Vorschein, ein Paar wollener Armpolster in Händen. Auf Arithons zweifelnde Frage hin, entgegnete er: »Es sind meine, und ja, bevor Ihr fragt, sie werden Euch passen. Ich habe sie mit meinem Messer gestutzt.« Gewappnet gegen jede Gegenwehr, fügte er hinzu: »Wenn Ihr schon so stur wie ein Ochse seid und diese Sache durchziehen wollt, so ist das noch lange kein Grund, Euch die Haut in Fetzen zu reißen.«
Mühevoll brachte Arithon ein Lächeln zustande, dem eine Bitternis anhaftete, wie sie auf einem Verurteilten lasten mochte, der seinen letzten Weg zum Schafott angetreten hatte.
Nun zog er ein ausgesprochen kunstvolles Schwert aus seiner Scheide und legte die schwarze Klinge auf den Kartentisch. Entwaffnet, mit einer demütigen Miene, die so gar nicht zu seinem üblen Ruf passen wollte, öffnete er seine verschnürten Ärmelstulpen und streckte seinem getreuen Gefolgsmann die nackten Unterarme entgegen.
Der Barbar zeigte keinerlei Überraschung angesichts der schaurigen, weißen Narben, über die er lederne Fesselgurte stülpte. Rasch und fest fesselte er die Hände seines Herrschers mit geflochtenen Lederschnüren.
»Jieret«, sagte Arithon, »diese Riemen könnten reißen. In dem Spind an Steuerbord habe ich Draht gesehen. Vergiß dein Mitleid und benutze ihn.«
Bereit zum Widerspruch atmete der Clankrieger hastig ein, schwieg aber. Die Mundwinkel weit genug herabgezogen, daß sich seine Schnurrbarthaare mit denen seines Kinnbartes vermengten, akzeptierte er in dumpfem Elend die Bitte seines Herrn. Mit kräftigen Bewegungen, denen nur allzu deutlich anzusehen war, wie sehr ihm diese Pflicht zuwider war, zerrte er den Draht um die Handgelenke Arithons.
Der Prinz erduldete all das mit distanziertem Schweigen, und sein abgewandter Blick konzentrierte sich ganz auf den heller werdenden Himmel jenseits des Fensters. Rege Aktivitäten auf Deck wurden in der Kabine vernehmbar, und als das Ruder gedreht wurde, fragte sich der gefangene Kapitän neben dem Schott verwirrt, warum sein Schiff Kurs auf die Mitte des Kanals nehmen sollte.
Als der Barbar den Prinzen ordnungsgemäß verschnürt hatte, stellte er sich am Kartenschrank auf. »Ich bin bereit«, erklärte er widerwillig.
Arithon spannte die Schultern. Ein letztes Mal ließ er seinen Blick über die Buchten gleiten, die von einem wilden Gedränge unterschiedlichster Schiffe beherrscht wurden. Wie ein winterlicher Wald ragten die unzähligen Masten empor. Geteerte Taue hingen von den Schiffen herab in das Wasser und durchbrachen die silbrigen und rötlichen Reflexionen des beginnenden Tages wie mit einem schwarzen Tintenstrich. Trotz seiner gefesselten Hände stand der Herr der Schatten ganz ruhig und sicher auf seinen Füßen, als die Brigg über eine Woge rollte und in das Wellental herniedersank, beständig erschüttert von den Brechern, die von Süden her gegen ihre Schiffswand schlugen. »Sorg dafür, daß sie ihre Position nicht verläßt«, befahl Arithon eindringlich. »Jieret, bei deinem Eid als mein Getreuer, fordere ich dich auf, mich nicht freizulassen, ganz gleich, wie schrecklich ich auch schreien mag!«
Der Clankrieger sah so gequält aus, als würde er hellwach in den schauerlichen Schlund eines entsetzlichen Alptraumes starren. »Möge Ath uns beiden seine Gnade erweisen! Mein Gebieter, Ihr müßt das nicht tun. Kann der Schutz für ein kleines Fischerdorf wirklich ein solches Risiko aufwiegen?«
Nur eine schmale Silhouette vor salzverkrustetem Glas, erklärte der Herr der Schatten mit beißendem Ton: »Die Bürger von Merior sind nicht meine Untertanen, aber dort gibt es eine Frau, die meinen Siegelring zum Zeichen dafür trägt, daß ihren Kindern nichts geschehen wird.«
»Vergebt mir«, wisperte Jieret. Vor acht Jahren, am grünen Ufer des Tal Quorin, hatte sein
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