Der Fluch des Nebelgeistes 04 - Die Saat der Zwietracht
Herrscher schon einmal vor einer solchen Entscheidung gestanden. »Doch verübelt mir nicht die Furcht, die ich um Euch empfinde.«
»Verschwendete Mühe.« Leichtherzig erklang Arithons Stimme, untermalt von dem mühsamen Ächzen der Schiffsplanken. »Spare dir dein Mitgefühl für die Seemänner, die sich hier in der irrigen Annahme, sie seien in Gefahr, versammelt haben.«
In diesem Augenblick ruhte die Stadt Werende in tiefem Frieden. Sanft gülden schmeichelte die aufgehende Sonne dem Mastenwald der verankerten Schiffe. Keinerlei Bedrohung schien greifbar, jede Gefahr nur ein absurder Gedanke. Niemand erwartete die Gegenwart des Herrn der Schatten. Und doch war er dort, unbeachtet, ohne ein Zeichen seiner Anwesenheit zu geben, ohne sich zu großen Gebärden hinreißen zu lassen, um sein Publikum zu ängstigen. Arithon s’Ffalenn stand einfach nur da, konzentriert und aufrecht wie ein Tänzer, und wob die Schatten, die er schon seit seiner Geburt beherrschte.
Die Schlinge, die er schuf, sollte sich über Werende legen.
Ein gigantischer schwarzer Leopard sprang über den Rand des südlichen Horizonts. Die Erscheinung schwoll zu monströsen Proportionen an, ehe sie geräuschlos die Umrisse gewaltiger Fänge entblößte und die eben aufgegangene Scheibe der morgendlichen Sonne verschlang. Für einen kurzen Augenblick blitzten in ihren Augen zwei schmale Schlitze freien Himmels auf. Dann blinzelte sie.
Still, undurchdringlich und so unnatürlich, als hätte die Luft selbst sich zu Filz verdichtet, senkte sich die Dunkelheit über die Stadt.
Kein Stern leuchtete, kein Licht. Die breite Landspitze von Werende verschwand ganz einfach samt ihres Hafens und ihrer Schiffe, als hätte Daelion, der Herr des Schicksals, seinen Verstand verloren und einen Faden der Schöpfung aus dem Sein herausgerissen. Gebannt von mörderischer Finsternis, schien die Stadt in ihrer Gesamtheit vollends vom Antlitz der Erde getilgt zu sein.
Entsetzen überwältigte den Kapitän der Brigg. Trotz des Knebels in seinem Mund, schrie er vor Schrecken. Über dem Wasser, unsichtbar in der konturlosen Dunkelheit, läuteten die Nebelglocken Werendes zur Warnung drohender Gefahr. Auf den vor Anker liegenden Galeeren ertönten schrille Trompetenklänge, deren qualvolle Fanfaren der Wind mit sich trug.
Leise, doch eindringlich, sprach Jieret inmitten des Lärms: »Mein Gebieter, laßt mir wenigstens das Laternenlicht. Ich kann nicht über Euren Verstand wachen, wenn ich nichts mehr zu sehen vermag.«
Möglicherweise hatte Arithon ihn nicht gehört; oder die Worte an sich hatten ihre Bedeutung verloren, während er sich der Finsternis entgegenstemmte, einen Vergeltungsschlag zu führen, gegen den es nun kein Mittel mehr gab.
Mit einem Donnern blitzte Licht am Himmel auf. Kraftvoll in seiner Abwehr schlug Lysaer in Werende zurück, seinen eingeschworenen Feind niederzuringen. Wie die unregelmäßige Zeichnung eines Obsidians durchzogen Blitze den finsteren Himmel.
Aus freiem Willen war Arithon einen kaltblütigen Flirt mit einer Katastrophe eingegangen, hatte der Prinz von Rathain mit seinem Wirken doch den Fluch des Nebelgeistes wiedererweckt. Erneut kam der brennende Drang auf, Gewalt mit Gewalt zu messen und zu vergelten, bis wenigstens einer von ihnen sein Leben dabei ließ.
Menschen, Motive, Werendes ganze Verletzbarkeit war schon im nächsten Augenblick ohne jede Bedeutung. Ausgeleuchtet von dem machtvollen Strahlen der Blitze, stürzte sich Arithon auf das Fenster. Seine Lippen hatten sich von seinen Zähnen zurückgezogen, und seinem Gesicht haftete nichts Menschliches mehr an. Machtvoll, wenngleich ohne Waffe, versuchte er, seine Hände zu erheben. Die Fesseln an seinen Handgelenken hielten ihn auf. Als er versuchte, sich loszureißen, schien er zu doppelter Größe anzuwachsen, während sich seiner Kehle ein tierisches Knurren entrang.
Offensichtlich besorgt, die Macht des Zorns könnte dazu führen, daß sein Herrscher sich verletzte, umklammerte Jieret seinen Ellbogen und schüttelte ihn heftig. »Arithon! Wenn dir dein Leben lieb ist, dann ergib dich diesem Übel nicht!«
Der Herr der Schatten stieß einen fürchterlichen, heiseren Schrei aus. Der Zorn, der seine Muskeln spannte, ließ von seinen Gliedern ab, und er stolperte, wäre beinahe gefallen.
Jieret fing ihn auf, während der Schleier der Schatten, der das Tageslicht gefangenhielt, geschwächt durch Lysaers Gegenschlag aus Werende zu flackern begann.
Mit der Ruhe der
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