Der Fluch des Nebelgeistes 05 - Die Streitmacht von Vastmark
Ratten zur Flucht zu treiben pflegt. Andere sprangen auf seinen Befehl herbei, Taliths Habe in eine Kabine zu schaffen und sodann auf die Brigg zurückzugehen, um einen der Matrosen von seinen Fesseln zu befreien. Übergangslos herrschte Disziplin an Bord, und bald war auch die letzte Leine, die den Zweimaster mit seiner Beute verzurrte, gelöst.
Arithon überließ die Aufsicht über die Khetienn seinem ersten Maat, der Segel setzen ließ und geradewegs auf die offene See hinaussteuerte.
»Ihr seid streng gegen Eure Männer«, stellte Talith fest, als ein Matrose, dessen Gesicht nach seines Kapitäns Standpauke noch immer hochrot angelaufen war, die Planke einzog.
Arithon entließ die Männer in der Takelage aus seiner Aufmerksamkeit und betrachtete sie. Mit klarer Stimme übertönte er das Rattern des Hauptsegels und sagte: »Ich tue nur, was getan werden muß.«
Nicht minder kühl und distanziert als er, ließ Talith ihn ihre Verachtung spüren. »Was ist dann der Grund für meine gewaltsame Entführung? Notwendigkeit oder nur eine Marotte?«
Rabenschwarze Brauen ruckten nach oben, und ein Hauch des Amüsements spielte um seine Mundwinkel. Kein Wort kam über seine Lippen, doch in dem Blick, mit dem er sie betrachtete, lag eine gespannte Aufmerksamkeit.
Talith wahrte ihre ruhige Haltung. Schönheit war ihre Waffe, geeignet, zu zerstören oder zu schmeicheln oder zu entmannen. Sie hatte genug geile Böcke in ihre Schranken verwiesen, um diesen Vorteil zu schätzen zu wissen. Doch der Blick dieses Mannes ruhte zu lange auf ihren Zügen. Sie errötete; und seine Augen wanderten herab und widmeten sich eingehend ihrem perlenbehangenen Hals, den Schultern, die im Rhythmus ihrer Atemzüge erbebten. Weiter glitten seine Blicke über ihre Brüste, ihre goldgegürtete Taille und noch tiefer, hinab zu den pfeilgeraden Falten ihres seidenen Rockes, den der Wind schamlos eng an ihre Hüften preßte.
Mit einer Schärfe, die hart an der Grenze zur Unhöflichkeit lag, schlug Arithon zu: »Es ist kaum an Euch, meine Motive zu hinterfragen, nicht wahr?« Vorsichtig ergriff er eine Strähne ihres goldglänzenden Haares und schob sie hinter eine gelockerte Haarnadel. »Mein wird die Schande nicht sein, meine liebe gnädige Frau. Ihr habt Euch den Anweisungen Eures Gemahls widersetzt, der um Eure Sicherheit besorgt war. Nun bleibt Euch keine Wahl, als die traurige Zeche zu bezahlen.«
»Dazu habt Ihr kein Recht!« Talith versteifte sich, unfähig, seine Anzüglichkeit zu ignorieren. Spöttisch ruhten seine Blicke auf ihr und veranlaßten sie zu einem gedankenlosen Rückzug in die Defensive. »Ihr werdet es nicht wagen.«
»Was werde ich nicht wagen? Euch anzurühren? Wer sollte mich aufhalten? Gewiß nicht Eure naiven jungen Gardisten.« Arithon packte ihren Arm und zog sie über das Deck, mitten hindurch durch den beißenden Gestank von Teer und frischem Lack und dem beinahe schmerzhaft reinen Geruch der See. Dann fügte er gleichsam gedankenverloren hinzu: »Wollt Ihr denn nicht die Gefälligkeit eines nahen Verwandten erbitten?«
Von der Seite starrte ihn Talith aus Augen gleich massivem Topas mit einem Ausdruck bohrenden Zorns an. »Sehe ich etwa so aus, als würde ich um Gnade betteln?«
»So großartig das auch klingt, wird es doch nicht nötig sein«, sagte Arithon, und sein freundlicher Tonfall, der keinerlei Ansatz zu einer bösartigen Entgegnung bot, heizte ihren Zorn noch weiter an. »Ihr seid ganz einfach dumm gewesen, und ich brauche Gold. So gesehen, seid Ihr lediglich ein Werkzeug, das mir bereitwillig in die Hände gefallen ist. Lysaer soll Euch zurückbekommen, zürnend zwar, doch tugendhaft. Aber dafür wird er bis auf die letzte Unze Gold bezahlen, was Ihr wert seid.«
Von wildem Zorn ergriffen, überdies verwundert, weil ihr eigener Atem stockte angesichts seiner Worte, die ihren Liebreiz gänzlich ohne jeden Charme in Gold bezifferten, knirschte Talith sprachlos mit den Zähnen. In ihrem Groll nahm sie kaum wahr, wie Arithon seinem gewandten kleinen Diener Anweisungen erteilte. Noch fand sie Worte, als sie in die großzügige Behaglichkeit der bequemeren der beiden Heckkabinen auf der Khetienn geführt wurde.
Von dem Augenblick an, da sich die Tür hinter ihr schloß, wußte sie, daß dies Arithons eigenes Quartier war. In dem Bewußtsein, dem fordernden Geist auf Deck nicht entkommen zu sein, schnappte Talith aufgebracht nach Luft.
Wie sehr sie sich auch bemühte, einen Makel zu entdecken, der ihr
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