Der Fluch des Nebelgeistes 05 - Die Streitmacht von Vastmark
übersinnliches Funkeln trat in die Augen des Geistes, als er mit einem substanzlosen Huf aufstampfte.
Seine Bewegung war von unheilvoller Grazie, und seine Kraft überstieg die schwächliche Vorstellungskraft des menschlichen Geistes bei weitem. »Hat denn dein Orden alle Regeln guten Benehmens, alle Gebote der Gastfreundschaft vergessen? Was solltest du anderes tun, als an die Tür zu klopfen? Warum trägst du deine Bitte nicht vor, wenn der Hüter von Althain zugegen ist, um dich einzulassen? Du hast dir bedauerlicherweise einen unpassenden Zeitpunkt erwählt, denn Sethvir hat sich heute morgen auf die Reise zum Hofe König Eldirs in Ostermere gemacht.«
Ungläubig konterte Lirenda säuerlich: »Wer sagt mir, daß der Zauberer mich anhören wird?«
Fahlgüldenes Mondlicht schimmerte auf den Enden des Geweihs, als der Zentaur seinen Kopf zurückwarf. Ebenmäßige, flache Ohren, die oben spitz zuliefen, nisteten wie Muscheln in seinem Schopf. »Sollte er dich zurückweisen, so werde ich dir persönlich die Türe öffnen. Doch höre meine Warnung, mein sterbliches Kind: Versuchst du gegen meinen Willen einzudringen, so setzt du dein Leben und das all deiner Schwestern aufs Spiel.«
Nun, da sie ihre Botschaft überbracht hatte, zerfielen die Umrisse der Erscheinung allmählich, bis sie sich schließlich wie ein Wirbel tanzender Schneeflocken ganz auflöste.
Lirenda fühlte, wie sie aus dem veränderten Bewußtseinsbereich hinausgeschleudert wurde. Mit zerdrückten Kleidern kniete sie in dem feuchten Gras, gebrochen, gedemütigt und weinend. Eine Schönheit, wie sie sie sich niemals hätte träumen lassen, trieb ihr Herz, ließ es so heftig schlagen, als wollte es aus ihrer Brust springen. Mühsam gelang es ihr allmählich, die Beherrschung zurückzuerlangen und die Reste jener Ehrfurcht abzuschütteln, die sie paralysierte.
Vor ihr lag schillernd der Skyronkristall im Mondenschein.
Sie öffnete die verkrampften Hände und nahm den schweren Stein wieder an sich. Die Zeit war ihrer widernatürlichen Erstarrung entrissen, und die Ströme des Dritten Weges rauschten erneut unter der herannahenden Energie der Tagundnachtgleiche. Ihre verwirrten, doch wieder ins Leben zurückgekehrten Schwestern versammelten sich um sie herum, als sie stolpernd auf die Beine kam. Sie stellten Fragen, wußten nicht einmal, daß ihr Energiekreis zerstört war. Keine von ihnen ahnte auch nur etwas von Shehane Althains verborgener Macht, die sie alle für einen gefährlichen, verborgenen Augenblick ihrem atmenden Leben entrissen, in sein Reich entführt und auf eine andere Ebene der Bewußtheit gelockt hatte.
Lirenda biß die Zähne zusammen. Sie mußte sich zwingen, sich gerade aufzurichten, ehe sie nach ihrer Kapuze griff, um die verschmierten Tränenspuren in ihrem Gesicht zu verbergen. Sie wußte nicht ein und nicht aus. Beschämt suchte sie nach Worten zu erklären, warum sie auf die Unterstützung durch ihre Schwestern verzichten und allein auf Sethvirs Rückkehr warten wollte.
Morriel mußte fuchsteufelswild werden, wenn sie erfuhr, daß ihre gewählte Nachfolgerin gedemütigt worden war. Dennoch duldete die latente, verborgene Macht des Ilitharis Paravianers keinen Widerspruch. Lirenda mußte den Zauberer um seine Gefälligkeit bitten oder ihrer Aufgabe entfliehen und den Großen Wegestein in seiner Obhut zurücklassen.
Kleine Wellen
Zu Ostermere macht es sich der Zauberer Sethvir bei einer Mahlzeit aus Teegebäck und Marmelade in der königlichen Küche bequem, während er sein Kichern aufgrund des gelungenen Zaubers im Zaume hält, mit dem er die Erste Korianizauberin Glauben gemacht hat, sie würde mit dem Geist des Turmwächters selbst sprechen; ihre begrenzten Fähigkeiten reichen nicht, die Wahrheit zu erkennen: wäre der Hüter des Turmes nicht weise genug gewesen, sie zum Abwarten zu zwingen, hätte sie gewiß tatsächlich jenen Bann geweckt, der aus den Gebeinen Shehane Althains gewirkt worden war, doch dann wäre weder sie noch eine ihrer irregeleiteten Schwestern mit dem Leben davongekommen …
Zur Tagundnachtgleiche des Frühjahres steht Jieret s’Valerient, der Herzog des Nordens, gemeinsam mit seiner Braut vor den glimmenden Kohlen eines Freudenfeuers zur Feier seiner Hochzeit und wünscht seinem Kriegerhauptmann eine gute Reise auf dem Weg gen Süden, zu seinem Prinzen, der ihn in Vastmark erwartet. »Sei sein Schild, Caolle, und geh mit meinem Segen, denn keinem anderen Schwert außer dem deinen
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