Der Fluch des Nebelgeistes 05 - Die Streitmacht von Vastmark
zu schreiben. Der Zauber, den sie führte, war kaum mehr als ein Funke, eine dreiste statische Entladung, nur dazu gedacht, die eingemauerten Banne dazu zu bewegen, sich ihr zu offenbaren.
Mit der gebotenen Sorgfalt und Hartnäckigkeit würde sie das Geheimnis ihrer Struktur entwirren können, sobald die magischen Banne aus ihrem Ruhezustand erwachten.
Doch kein mildes Durcheinander andersartiger Magie beantwortete ihren Vorstoß mit sanftem Schimmer. Statt dessen zerriß ein wilder Lichtblitz das samtene Dunkel der Nacht.
Durch die Entladung geblendet und ihres Gehörs beraubt, wich Lirenda zurück. Der Skyronkristall erhitzte sich in ihren Händen. Sie ließ ihn fallen. Der Fokusstein blieb am Boden liegen, und seine wachen Kräfte lösten sich auf wie Asche in einer Windböe.
Wenig erfreut bückte sich die Erste Zauberin des Ordens von Koriathain, um ihren versengten Handflächen im kühlen Gras Linderung zu verschaffen. Mitten in der Bewegung hielt sie entsetzt inne. Rund um den Althainturm herum standen in lebloser Erstarrung die Korianiältesten, die sich zu dem magischen Kreis versammelt hatten, als wären innerhalb eines winzigen Augenblicks ihre Leiber und Gewänder durch die zerbrechlichen Nachbildungen aus der Hand eines Glasbläsers ersetzt worden.
Die Herausforderung, der sie sich gleich darauf ausgesetzt sah, erbebte dröhnend in Luft und Erde. Ihr Ruf war tonlos, und doch machte gerade das ihn noch furchterregender. Zürnend donnerte er durch ihre Gebeine.
»Wer wagt es?«
Aufgepeitscht zu einer gedankenlosen Entgegnung, brüllte Lirenda Namen und Rang hinaus.
Die schaurige, grelle Vibration, die sie ausgelöst hatte, fegte ihre Antwort scheinbar verächtlich beiseite, als wolle sie sie erniedrigen, entstammte aber tatsächlich einer Macht, die sich ihres Platzes innerhalb der Schöpfung so sicher war, daß sie keinerlei Arroganz kannte. »So höre, Erste Zauberin von Koriathain! Deine Absicht, mit den Schutzbannen von Althain herumzuspielen, genießt nicht meine Zustimmung.«
Das Gesicht von einem wirren Durcheinander zerzauster Haare bedeckt, wollte Lirenda sich aufrichten und war doch nicht imstande, sich von ihren Knien zu erheben. Wenn es ihr nicht gelingen wollte, die bebende Furcht in ihren Gliedern zu beherrschen, so blieb ihr noch der reine Zorn. Dennoch verkam ihr Versuch eines gebieterischen Protests zu einem kläglichen Wimmern. »Wer bist du?«
Donnerndes Gelächter zerriß die Stille der Nacht über ihrem Haupt. »Du Tochter eines Kaufmanns, hast du denn dein Augenlicht verloren?«
Unter dem Druck schlimmster Vorahnungen strich Lirenda sich die Haare aus dem Gesicht und wagte einen Blick. Doch die Zauberin, schwarzhaarig, mit braunen Augen und so karg und nüchtern wie die Nacht selbst, sah zunächst nichts außer der fahlen Scheibe des Mondes hoch oben über den Hügeln. Ihr erster Versuch hatte weit mehr zutage gefördert, als sie erwartet hatte. Die Banne über dem Althainturm zeigten sich nun in all ihrer Macht, präsentierten sich als ein dichter Schleier unheimlicher Flammen, die doch nichts in der Umgebung des Turmes zu beleuchten vermochten.
Kein Geräusch war zu hören. Selbst das Flüstern rauhreifbedeckter Gräser war schauriger Stille gewichen. An diesem Ort, an dem stets ein Wind zu herrschen pflegte, regte sich nun kein Lüftchen mehr.
Noch immer in ihrem Kreis gefangen, standen einhundertundacht Korianischwestern wie angewurzelt da, unfähig, sich zu bewegen. Nicht einmal eine Falte ihrer Roben rührte sich. Sie waren nurmehr Statuen, erstarrt in der Zeit, so als wäre der Atem, das Leben, ihnen zwischen zwei Herzschlägen entrissen worden.
Selbst das statische Spiel der Kräfte des Dritten Weges ruhte wie ein Fluß, eingefroren unter einem Mantel schwarzen Eises. Zitternd, schaudernd wegen der schrecklichen Kälte, die sie überwältigte, erkannte Lirenda, daß sie die Grenzen ihrer Fähigkeiten überschritten hatte, erkannte sie, daß das Rad des Schicksals dem Befehl dieser Wesenheit gehorchend angehalten hatte, dieses Wesens, dessen Ruhe sie gestört hatte. Auf eine Weise, die sie sich nicht erklären konnte, hatte es sie selbst dem Schleier entrückt, der die Welt bedeckte, diese in Reglosigkeit verharren ließ und zu warten zwang.
Widerstrebend erkannte sie, was ihre in ätherischen Gefilden schwebende Wahrnehmung ihr offenbaren wollte: ein Etwas, scheinbar gesponnen aus Sonnenstäubchen, durchschimmernd, doch nicht zerbrechlich. Seine Präsenz schlug
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