Der Fluch des Nebelgeistes 05 - Die Streitmacht von Vastmark
daß sie sich nicht hätte durch die Eleganz und die Manieren des hochwohlgeborenen Mannes aus altem Herrschergeblüt verunsichern lassen dürfen. Arithons verwirrende, satirische und direkte Art hatte sie nie dazu veranlaßt, sich ihrer niederen Herkunft zu schämen. Auch hatte sein Verhalten sie nie bewogen, sich verwirrenden Überlegungen angesichts der Frage hinzugeben, ob sie vor ihm einen Knicks machen sollte.
Wahrhaft blendend, gekleidet in glänzende Seide, geschmückt mit einer goldenen Kette und passenden Saphiren, betrat Lysaer die gewachsten Bohlen ihres Wohnzimmers und ergriff ihre Hände, um ihre Finger von der gewohnten Fummelei abzuhalten. »Kommt und setzt Euch zu mir«, verlangte er.
Geschmeidig führte er sie zu einem Stuhl. Die Fensterläden vor ihren Fenstern waren verschlossen, um die Morgensonne fernzuhalten, doch zwischen allerlei Ritzen in dem roh zusammengezimmerten Holz bahnte sich das Licht seinen Weg in die Finsternis. In ihrem dunklen Hemd und dem Schnürmieder aus braunem Köperstoff sah Jinesse noch blasser aus als an anderen Tagen. Ihre Wangen waren eingefallen und ihre Augen beinahe farblos, nurmehr durchscheinendes Aquamarin.
Die Erinnerung an einen anderen Prinzen in grober Leinenkleidung, der sie einst nicht minder entschlossen genötigt hatte, auf einem Holzstapel Platz zu nehmen, huschte durch ihre Gedanken, während sie erneut versuchte, den königlichen Charakter hinter dem Gesicht ihres Besuchers auszuloten. Wo Arithon sich durch verwirrende Zurückhaltung und eine Beobachtungsgabe, scharf genug, zu verletzen, auszeichnete, schien Prinz Lysaer so unvoreingenommen und direkt wie strahlendes Sonnenlicht zu sein. Seine Kleidung war kostbar, ohne jedoch protzig zu wirken, und die atemberaubende Wirkung seiner überwältigenden Männlichkeit hüllte sich in eine zugewandte Wärme, die nicht minder einschüchternd war.
Ein entrücktes Interesse prägte den Blick, mit dem er sich in dem Raum und seiner einfachen Einrichtung umsah, bis eine geschliffene Glasschale ihn plötzlich in ihren Bann schlug. Mit ehrlicher Überraschung durchquerte er das Zimmer schnellen Schrittes. Die zarten Glieder seiner wohlgeformten Hände erinnerten auf unheimliche Weise an Arithon, als er das Kristallgefäß aus Falgaire aus dem Schrank nahm.
»Woher habt ihr das?«
Jinesse antwortete mit eisigem Ton: »Ich erhielt es als Geschenk von einem Freund.«
Lysaer kam zurück und stellte die Schale auf der Truhe neben dem Fenster ab, ehe er die Fensterläden weit öffnete. Sonnenlicht strömte herein, begleitet vom salzigen Geruch der Wellen und den schrillen Schreien der Möwen. Die Facetten des geschliffenen Kristalls beantworteten die Helligkeit mit einer flackernden Glut gefangener Brillanz.
»Ein wundervolles Geschenk, dieses Falgaire-Kristall«, sagte Lysaer. Er entdeckte einen alten, zerschlagenen Stuhl, den die Zwillinge zum Schnitzen mißbraucht hatten, und setzte sich. »Ich sollte nicht mit der Wahrheit zurückhalten. Ich weiß, daß Ihr diese Schale von Arithon s’Ffalenn erhalten habt, doch ich bin überzeugt, Ihr hättet die großzügige Gabe nicht angenommen, hättet Ihr gewußt, woher er sie hatte.«
Als Jinesse ihm nicht die Gunst einer Antwort erwies, sondern nur versteinerten Blickes schwieg, betastete Lysaer seufzend den Rand der Schale. Gebrochenes Licht fing sich in den Juwelen seiner Ringe, die wie eisige Punkte an jedem seiner Finger kalt aufleuchteten. »Ich kenne dieses Stück gut. Es wurde mir während eines Staatsbesuches in Falgaire vom Stadthalter persönlich überreicht und später, bei einem Überfall der Barbaren, die sich mit dem Herrn der Schatten verbündet haben, gestohlen. Ihr solltet auf Euch achtgeben. Dieser Mann ist eine Bedrohung für jede Stadt und jedes Dorf auf Athera. Gerade jetzt sind Eure eigenen Kinder seiner Gnade ausgeliefert. Ihr kennt ihn gut genug, sein Wohlwollen errungen zu haben. Vielleicht habt Ihr von ihm auch den Namen des Hafens erfahren können, der ihm als nächste Zuflucht dienen soll. Unterstände dieser Feldzug allein der Befehlsgewalt des Herzogs Bransian von Alestron oder meines Oberkommandanten Lord Diegan, so hätten sie gewiß längst jedes nur denkbare Mittel angewandt, Euch zu zwingen, Euer Wissen preiszugeben. Ich werde keinen derartigen Befehl erteilen. Eure Verstrickung in diese Angelegenheit ist eine Tragödie, und ich bedauere Eure Kinder. Dennoch werde ich nicht zur Folter greifen, um mein Ziel zu erreichen. Euer Herr
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