Der Fluch des Nebelgeistes 05 - Die Streitmacht von Vastmark
widmeten.
Hier aber, jenseits dieser Pfeiler, breitete sich ein Raum ohne Mauern aus, ganz ohne Decke und ohne Lampen, in denen segenspendende Kerzen brannten. Vor seinen in demütigem Erstaunen erstarrten Augen lag des Schöpfers ursprünglicher Wald, dessen lebendiges, atmendes sommerliches Blattwerk erfüllt war von Vögeln und anderen Waldbewohnern. Frieden umhüllte die nach frischem Lehm duftende Luft, schwer wie ein drogeninduzierter Schlaf und doch erstrahlend mit der Klarheit reinsten Kristalls. Getrieben an die äußersten Grenzen seiner Wahrnehmung, ergab sich Lysaer tiefster Ehrfurcht. Nicht länger konnte er der Stimme der Logik lauschen, die darauf beharrte, daß dieser Ort nicht existieren konnte; oder daß er sich überrascht hätte zeigen sollen, beim Anblick des dösenden Leoparden, an dem er vorbeikam, als er weiterging.
Vergangenheit und Zukunft entließen ihn aus ihren Fesseln. Das zarte Rascheln der Gräser unter seinen Füßen hatte weit mehr Bedeutung als erinnerte Erfahrungswerte. Furchtlos hoppelte ein grasender Hase vor seinen Füßen aus dem Weg. Gleich hinter ihm lag der Brunnen, doch nicht etwa ein mit Schnitzereien bedecktes Bauwerk, sondern eine natürliche Quelle, die sich über eine treppenförmige Felsenböschung ergoß, und das gläserne Spiel des Wassers schwemmte auch den letzten, leichten Unglauben aus seinem Bewußtsein.
Eingebettet in ein Wunder, das an seinem Geist zerrte und sein Herz in tiefe Mysterien einhüllte, verlor Lysaer jegliche Beziehung zu seinem dahinschreitenden Leib. Der Wald der Eingeweihten Aths war von einer grenzenlosen, ergreifenden Realität, in der alles Leben in einem ewigen Fest gepriesen wurde. Die Taten der Menschen außerhalb dieses Wunders schienen nurmehr billig, gleichsam bedeutungslos, weiter nichts als übertrieben grelle Träume, ausstaffiert mit ungestümer Hektik und sinnlosem Krach.
In den Erlen thronten exotische Vögel mit farbenprächtigem Gefieder Schulter an Schulter neben Falken und Sturmtauchern. Sie flogen nicht davon, als der Prinz sich ihnen näherte, sondern beobachteten ihn aus strahlenden Augen voller übersinnlicher Weisheit.
»Wo sind die Priester?« wisperte Lysaer.
Die Frau neben ihm lachte, so honigsüß wie das Plätschern des Wassers. »Wir haben keine Priester und keine Priesterinnen. Das würde eine Hierarchie voraussetzen, für die in Aths Gesetzen kein Platz existiert. Ihr seid als ein Mann gekommen, und so muß, wie es das Gleichgewicht der Erde selbst verlangt, die Eingeweihte, die zu Euch sprechen wird, eine Frau sein.«
»Ich brauche keines Menschen Rat.« Lysaer stellte den erhobenen Fuß in gefaßter Haltung auf den Rand des Felsenbeckens. In vom Zwielicht verwaschenen Farben starrte sein Spiegelbild zu ihm herauf, ehe es in einem Schauer winziger Tropfen, die gleich einer zufälligen Melodie auf die Wasseroberfläche trafen, zersprang und die Illusion seiner Präsenz zerstörte. Unfähig, Angst zu empfinden, gar verloren für jegliche Sorge angesichts dieses Mangels, formulierte der Prinz sein Ansinnen. »Ich bin gekommen, zwei andere Menschen unter Eurer Obhut zu suchen. Einen verbannten Gardehauptmann namens Tharrick und eine Witwe, die Dame Jinesse aus Merior. Am Tor habt Ihr gesagt, ich würde sie sehen können.«
»So soll es sein.« Geduld sprach aus dem Singsang ihrer Worte, nicht ein Versprechen.
Lysaer riß sich vom Anblick des Wassers los und starrte die Gestalt neben sich an, die reglos wie eine Porzellanfigur verharrte. Sie wartete darauf, daß er etwas aufgeben würde. Dieses Gefühl drängte sich mit der Macht einer körperlichen Berührung oder der Kälte eines regennassen Hemdes durch den Frieden.
Seine Hände waren leer. Die Pracht dieses Waldes hatte seine Bestechungspläne zunichte gemacht, sie zu niederträchtigen Schmähungen verkommen lassen. Lysaer betrachtete die weißgekleidete Mystikerin in all ihrer dunkelhäutigen Schönheit, und er vermochte sich nicht zu entziehen, als er selbst sich ihrem Blick ausgesetzt sah, der silbrig wie frischer Sommerregen auf ihm ruhte.
Ein gänzlich unkönigliches Bedürfnis stahl sich durch sein Sein, verlangte danach, sich Ausdruck zu verleihen. Die diplomatische Schule, der er sich seit frühester Kindheit unterzogen hatte, versagte nun, seine Konzentration wiederherzustellen, und ließ seinen Geist in ein unbeherrschbares Durcheinander sinken. Ein Fragment seiner Gedanken beharrte darauf, daß seine Sorge der Notwendigkeit entstammte, die
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