Der Fluch des Nebelgeistes 05 - Die Streitmacht von Vastmark
genommen.
»Gnädige Frau«, sagte er, nun wieder mit formvollendeter Höflichkeit. »Ich werde mich nun verabschieden.«
Seine Worte schienen einen Schleier von seinem Geist zu reißen, und die Magie des Heiligtums verlor ihre Macht über ihn. Lysaer wandte sich von dem Brunnen ab. Endlich frei zu gehen, hastete er durch die Bruchstücke eines seltsamen Traumes auf die Loggia zu.
Das Gras unter seinen Füßen war nun braun und vertrocknet. Leopardin und Vögel waren verschwunden, und das sanfte Zwielicht unterhalb der mächtigen Bäume schien jetzt so hart und kontrastlos wie Schnee auf einem blinden Spiegel. In der Luft lag der schale, modrige Blättergeruch des Herbstes in Erwartung des todbringenden Winterfrostes.
Lysaer stürzte zwischen den Pfeilern hindurch und überquerte den Kopfsteinpflastergang. Als er durch das Rundbogenportal in das Vorzimmer trat, befiehl ihn ein schreckliches Zittern. Für einen winzigen Augenblick wurden seine Knie weich und seine Sinne versanken in Schwindelgefühlen. Er wagte nicht auf den schimmernden Marmorboden hinabzusehen, war erfüllt von der irrationalen Furcht, daß sein Körper sich nicht in ihm widerspiegeln würde. Dann waren seine Männer bei ihm und stellten ihm unzählige Fragen. Er ignorierte sie, während er zur Tür hinausstrebte, um dort endlich erfrischende, kalte Nachtluft in gewöhnlichem Mondenschein zu atmen.
Doch selbst dort zerrte das beklemmende Unbehagen an seinen Nerven. Umgeben von den Männern seiner Eskorte wehrte er sich gegen seine Zweifel, war er doch noch immer nicht fähig zu erkennen, ob seine Erlebnisse in dem Hain eine Vision, herbeigetragen durch einen Augenblick der Schwäche, oder nur eine illusionäre Bedrohung unter der Kontrolle manipulativer Mächte gewesen waren.
Keine dieser Möglichkeiten hatte Gutes zu bedeuten. Sollten die Eingeweihten mit Arithon sympathisieren, so durfte die Macht ihrer Geheimnisse nicht ignoriert werden, sollte es Arithon gelingen, dem neu aufgestellten Heer zu entkommen. In dem dringenden Verlangen nach einem Schnaps und der sicheren Zuflucht seines Zeltes, erteilte Lysaer heiser das Kommando zur sofortigen Rückkehr in das Kriegerlager.
In dem Heiligtum, das der Prinz derer zu s’Ilessid verlassen hatte, saß die weißgekleidete Eingeweihte sorgenvoll am Rand des kleinen Wasserlochs. Herabfallende Blätter fingen sich in ihrem Schoß, scharlachrot und rostfarben, wie Blutflecken, die nur die Zeit voneinander trennte. Schaurige Stille herrschte in den Zweigen über ihrem Kopf. Finken und Falken waren davongeflogen, und sie konnte deren verblassenden Energien fühlen, während sie mit weit gespreizten Flügeln dem Ort zuschwebten, dem alle Mysterien Aths entstammten.
Jenseits des Tores zur Loggia, kaum gedämpft durch die grauen, von Siegeln bedeckten Wände aus Felsgestein, hallte die zürnende Stimme des Prinzen des Westens von den Wänden wider. »Bei allen Qualen Sithaers! Wir werden den größten Teil der Nacht damit verbringen, diese Pferde wieder aus dem Sumpf zu zerren.«
Dann, verletzt und düster, die Antwort seines Offiziers. »Euer Hoheit, was habt Ihr denn erwartet, eine Herberge der Eingeweihten Aths hoch zu Roß aufzusuchen?«
»Dann tun sie das immer?« schoß Lysaer zurück. »Nehmen einem Mann sein Roß und lassen es ohne seine Erlaubnis frei?«
Während die Männer zu Fuß durch das Tor hinaus auf die Straße gingen, verhallte die Auseinandersetzung allmählich. »Jedes eingezäumte Tier, Euer königliche Hoheit. Das ist ein alter Brauch. Aber das wißt Ihr doch sicher …?«
Im Inneren des geschändeten Heiligtums griff die Eingeweihte mit zitternden Händen nach ihrer Kapuze und schob sie über ihr ebenholzschwarzes Haar. Dann wartete sie voller Sorge, bis Claithens leise Schritte vor ihr über den Rand des Wasserlochs wandelten.
Für einen Augenblick blieb er wortlos an der heiligen Stätte stehen. Stumm beklagte er, was er sah: die kombinierten Effekte eines starken, königlichen Willens und das heimtückische Vermächtnis des Nebelgeistes, der sich die Gabe wahrer Gerechtigkeit, die dem Geschlecht der s’Ilessids angeboren war, auf bösartige Weise zunutze gemacht hatte. Diese abscheuliche Verwicklung hatte ein Schandmal in jener Zuflucht, gesponnen aus Träumen und Aths ursprünglicher Macht, hinterlassen.
Eine solche Schändung verhieß nichts Gutes für die Zukunft.
Denn dieser Hain war nicht statisch, er war ein flüssiges Spiel der Energien, empfänglich für die
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