Der Fluch des Nebelgeistes 06 - Das Schiff der Hoffnung
winzige Kleinigkeiten, und jede hinterließ einen freudlosen Eindruck, der ihm jede Hoffnung raubte, sich wenigstens vorübergehend der Selbstverleugnung hingeben zu dürfen.
Lysaer ballte die Hände zu Fäusten, doch auch die Nägel, die sich schmerzhaft in sein Fleisch bohrten, vermochten ihn nicht von seiner Seelenqual abzulenken. Die Erinnerung peinigte ihn in all ihren grausamen Details; noch immer sah er das entsetzte Gesicht der gnädigen Frau Talith, als der Verlust auch noch die letzte Lage des feinen Gewebes der Hoffnung zerfetzte. Er sah, wie alle Farbe aus ihrem Gesicht wich; sah die rosafarbenen Brustwarzen, die sich gleich einem Aufschrei der Farbe vor der wächsernen Blässe abhoben, ein Bild, um so schmerzlicher, blieb doch noch immer die Woge des Verlangens, die seinen Leib bedrängte und ihn wie einen Suchtkranken zittern ließ.
Doch natürlich durfte er ihr nun nicht mehr anvertrauen, ihm einen Erben zu gebären. Niemals wieder würde er ihre unbefleckte Gesellschaft genießen können, niemals gestatten, daß sie die Grenzen seiner Fassade durchdrang. Nicht, ohne die Gefahr einzugehen, einem Bestechungsversuch zu erliegen, nicht, ohne sich der tödlichen Wahrscheinlichkeit auszuliefern, daß sie ihn dazu verführen würde, Recht und Gesetz zu vernachlässigen.
Wenn Leidenschaft die Vernunft eines Mannes besiegte, dann mochte er wohl im Irrsinn enden.
Lysaer verwünschte seine Schwäche, doch auch, wenn er ein Narr gewesen war, dumm genug, sich in der Liebe zu verlieren, war es sein Feind gewesen, der diesen Umstand zu einer Waffe gegen ihn geschmiedet hatte. Weinend vor Schmerz über den tragischen Mißbrauch seiner Gemahlin, sprach er laut, gleich einer Litanei zur Abwehr von Dämonen, jene klaren, grausamen Zusammenhänge aus, die ihn hatten zugrunde richten sollen.
»Es war nie das Gold, du unmenschlicher, seelenloser Bastard. Das Lösegeld, die Beute deines Raubzuges, es ist alles nur Schall und Rauch. Du hast nur eine Absicht mit der Entführung meiner Gemahlin Talith verfolgt: mich zu treffen, zu schwächen und den einzig verwundbaren Teil meines Herzens in Stücke zu reißen.«
Wege und Ansichten
Als Sethvir nach fünfmonatiger Abwesenheit in den Althainturm zurückkehrt, findet er Lirenda, die Erste Zauberin von Koriathain, auf seiner Schwelle; und auf ihre unerbittliche Forderung, den großen Wegestein ihres Ordens zurückzuerhalten, entgegnet er: »Ich frage mich nun schon seit fünfhundert Jahren, wann die Damen Eures Ordens sich endlich die Mühe machen werden, sich nach dem Juwel zu erkundigen. Wie wäre es mit einem Tee …?«
Aufgestachelt von dem Zorn über die Freibeuterei, die dazu geführt hat, daß das Lösegeld für die gnädige Frau Talith zweifach aufgebracht werden mußte, treffen sich in Erdane, der Stadt, in der sich die großen Handelsstraßen kreuzen, die Statthalter und Handelsminister von Tysan, und das Dokument, das sie in hochamtlicher Sprache verfassen, ist der Entwurf einer Urkunde, die Lysaers Anspruch auf den Thron des Hohekönigs zu Tysan gemäß den Stadtgesetzen anerkennen soll …
Während die königliche Galeere Avenors gen Norden fährt, um die Prinzessin Talith zurück in den Schutz der Türme von Avenor zu befördern, reist ihr Gemahl mit größter Eile südwärts; und wie dunkle Gewitterwolken sammeln sich seine Armeen an den Grenzen von Vastmark, um noch vor Wintereinbruch Vergeltung zu üben und dem Herrn der Schatten den Tod zu bringen …
2
GROSSE PROPHEZEIUNG
Unter hochfliegenden Zirruswolken brach die Dämmerung über der Westlandsee an. Der Zweimaster Khetienn sauste über die königsblauen Wogen gen Südosten, fort von der Küste, den Bugspriet von einem fedrigen Schleier aufspritzender Gischt verhüllt und die arg beanspruchten Segel unter der kraftvollen Brise gebläht. Dakar, der Wahnsinnige Prophet, hockte auf einer Bucht in einem Tau, und ein klägliches Rinnsal Spritzwasser tropfte von den gekräuselten Enden seiner Haare, doch er war ausnahmsweise nicht seekrank.
»Ich wünschte, ich hätte ein Schwert gehabt«, sagte er mit ungestümem Zorn. »Ath hilf, jemand sollte für Dhirkens Tod bezahlen müssen.«
Aus dem scharfen Wind antwortete ihm die Stimme Kharadmons. »Welchen Nutzen hätte das? Rache wird sie nicht wieder lebendig machen. Auch Arithon hat dir das bereits gesagt.«
»Und dann ist er weitergegangen und hat seine miese Stimmung an den Seeleuten ausgelassen.« Als er das Knarren der Takelage
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