Der Fluch des Nebelgeistes 06 - Das Schiff der Hoffnung
verborgen in der Deckung der unzähligen Felsspalten in den Klippen, beobachteten seinen Flug. Wie ein böses Omen stürzte er seewärts, Vorbote eines widernatürlichen stählernen Regens und des sicheren Todes der Truppen, die sich aufgemacht hatten, die Riffe zu erklimmen.
Die Bedingungen waren unerbittlich: Clanschützen mit Langbögen und jahrelanger Übung, die sie bei der Jagd auf das spärliche Wild in den Wintern des Nordens, mit dem sie ihre Familien ernährten, erworben hatten; Schützen aus den Sippschaften mit ihren überragenden Hornbögen, die imstande waren, Wyverns mit unfehlbarem Schuß vom Himmel zu holen, eine Beute, die sie mit absoluter Genauigkeit zu treffen vermochten, während die Kreaturen über ihnen auf den warmen Luftströmungen kreisten. Die hundertundzwölf Bogenschützen, die dieser Vorhut angehörten, waren skrupellos wegen ihrer Nervenstärke und ihres bedingungslosen Gehorsams ausgewählt worden. Als das rote Signal zu Boden stürzte, griffen sie nach ihren Waffen. Sie faßten ihr Ziel ins Auge und schossen von den sonnenbeschienenen Klippen herab mitten in die Reihen der Soldaten, die sich in ausgedehnter Formation über den unsicheren Boden am Rande des Gebirges vorantasteten.
Das Summen der Pfeilfedern in der Luft war die einzige Warnung, die der menschlichen Beute vergönnt war.
Dann schlug der Hagelschauer der mit Widerhaken versehenen Pfeile auf sie nieder. Die ersten Opfer sanken zuckend zu Boden, krümmten sich unter den unkontrollierten Krämpfen des Todeskampfes auf den sonnenverbrannten, steinigen Hängen. Überlebende Kameraden preßten sich flach an die Felsvorsprünge, wo sie mit gezogenen Schwertern hilflos festsaßen. Gegenwehr war unmöglich, der Feind, der sie niedermetzelte, außer Reichweite, außer Sicht. Vergebens starrten die städtischen Bogenschützen blinzelnd in den gleißenden Sonnenschein, um einen Vergeltungsschlag gegen unsichtbare Ziele zu führen. Hilflos gefangen starben sie unter dem nicht enden wollenden Regen feindlicher Pfeile, der gnadenlos auf sie einschlug.
Der staubtrockene Felsengrund badete in Strömen von Blut. Jagdpfeile durchbohrten erfahrene, kampferprobte Veteranen ebenso wie blutjunge Rekruten. Männer krabbelten auf der verzweifelten Suche nach Deckung über Hänge, die kein Erbarmen kannten. Sie brachen zusammen, fielen auf die Knie oder stürzten rücklings, die Arme weit ausgebreitet, von der Wucht des Aufpralls niedergerissen, schrien unter Schmerzen und bitterem Zorn.
Jene, die nicht auf den Hängen zusammenbrachen, stürzten hinab auf die Schieferplatten, und ihr Blut befleckte die Wogen, die unbeeindruckt an die Küste brandeten.
Hoch oben auf der Klippe preßte Caolle die geschlossene Faust an seine zusammengebissenen Zähne, gebadet in kalten Schweiß. Er hatte in seinem Leben genug Schlachten erlebt, hatte gekämpft und manch Blutbad angerichtet. Aber dies war kein Kampf, sondern wahr gewordener, grauenhafter Alptraum, der in ihm den Wunsch aufkeimen ließ, Augen und Ohren vor dem Schrecken zu verschließen.
Unter ihm entfaltete sich sorgsam geplantes Chaos, während die Pfeile mit der Präzision eines Uhrwerks auf ihre Ziele niedergingen. Über alle Maßen gepeinigt, brüllten Offiziere Befehle, begleitet von den Schmerzenschreien der immer zahlreicher Verwundeten. Für sie gab es keine Hoffnung, gerettet zu werden. Von Angst gepeitscht, waren die Soldaten nicht mehr fähig, sich um ihre Kameraden zu kümmern. Der Rückzug fand in Panik statt, nurmehr ein verzweifelter Zickzackkurs von Felsspalte zu Vorsprung, der zu einem Fehltritt, einem tödlichen Sturz, geradezu einlud. Dem unsicheren Boden fielen ebenso viele Männer zum Opfer wie den Pfeilen des Feindes; zerschmettert auf Felsen und messerscharfen Schieferplatten litten sie nicht weniger, starben nicht weniger, nur weil sie durch einen Unfall anstelle eines gezielten Schusses aus dem Rad des Schicksals gestoßen wurden.
»Ruft sie doch zurück. Ath erbarme dich unser, ruft sie zu den Booten!« rief ein Garnisonskommandant von der provisorischen Landebasis. Standhaft in seinem schwarzgoldenen Überrock mit dem Löwenwappen Jaelots, wußte der Mann, der sich einst mit dem Hochstapler Medlir im Bogenschießen gemessen hatte, allzugut, was er vor sich sah.
Sein Ruf fand Unterstützung. Auf den engen Wasserstraßen zwischen den Klippen erteilten Kapitäne brüllend Befehl, die Ruderboote zu Wasser zu lassen, die Segel zu lösen, die Gangspill zu besetzen und die
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