Der Fluch des Nebelgeistes 06 - Das Schiff der Hoffnung
auserwählt.
Flach am Boden auf einer Schieferplatte am Rande einer Klippe, das schwarze Haar vom Wind zerzaust, der aus der Bucht, bekannt unter dem Namen Haven, herbeiwehte, lag der Herr der Schatten still und reglos. Er trug keine Rüstung, nur eine von Grasflecken verunzierte Schäferjacke über der Tunika; auch hatte er außer einem Messer keine Waffen bei sich. Sein aufmerksamer Blick wanderte über die Takelagen und Aufbauten einer Flotte aus Handelschiffen und Fischerbooten, die gerade erst vor Anker gegangen war.
»Sie sind faul und sorglos«, murmelte er, als er die nachlässig gerefften Segel auf den verschiedenen Schiffen sah.
»Nun«, sagte Caolle hinter ihm in einem Tonfall säuerlichen Tadels. »Ihr wolltet doch an einem Ort zuschlagen, an dem sie uns direkt in die Arme laufen würden.«
»Töten bleibt immer Töten«, meinte Arithon ironisch. »Du wirst doch nicht schwach werden? Ich bin wirklich überrascht. Nach all den ermordeten Kurieren aus Jaelot hätte ich nicht erwartet, daß du in dieser Hinsicht noch einen wunden Punkt hast.«
Beschämt wegen dieses harschen Kommentars, verfiel Caolle in Schweigen. Es war nicht einfach, diesem Prinzen zu dienen, doch es war seine Pflicht. Um der Clans von Deshir willen, hatte er sich nie gegen ein Blutvergießen gesträubt. Und wenngleich Arithons Taktik nicht seine Zustimmung fand, so waren doch unter den städtischen Bannern an den Masten tief unter ihnen auch die Wappen der Kopfjägerligen vertreten. Von der Besatzung der einsamen Fischerschaluppe aus Merior abgesehen, waren die Männer, die als Opfer ausersehen waren, gewiß weder unschuldig noch harmlos, sondern ihrem kriegerischen Stand ebenso verpflichtet wie er dem seinen.
Aus der Höhe und Entfernung kaum mehr als kleine schwarze Flecken, strömten vier Kompanien der Truppen über den Fuß der Klippen. Vor dem Hintergrund landschaftlicher Weite wirkten sie so unbedeutend, hätten nicht hin und wieder polierte Rüstungen und bunte Banner das Sonnenlicht reflektiert. Gelegentlich hallte ein Befehl hinauf, kaum hörbar über dem sommerlichen Zirpen der Grillen im Ginster.
Minuten summierten sich zu einer Stunde, und nur die Schatten der Wolken bewegten sich über die höhergelegenen Platten. Den Eindringlingen, die sich hangaufwärts plagten, erschienen die zerklüfteten Bergkämme, die ihre Vorhut auskundschaftete, leer und verlassen, windumtost und viel zu steil, Bäumen oder auch nur kleinen Sträuchern Raum zu bieten, um so weniger einem Hinterhalt des Feindes.
Was ihnen ihre Karten nicht verrieten und ihre Legenden vergessen hatten, das waren die Höhlen in den vernarbten Felsenriffen, denen die Gegend den Beinamen Fluchten verdankte.
Aus einer solchen Spalte kroch ein Clankundschafter hervor und stellte sich neben Caolle auf. Worte wurden gewechselt, leise und gehetzt, dann glitt der Kundschafter zurück in sein Versteck.
Arithon berichtete der Kriegerhauptmann des Clans schließlich: »Die Vorhut der Kopfjäger hat den Offizieren gemeldet, das Gelände sei sicher, und die Garnisonsdivisionen haben mit dem Aufstieg begonnen. Wenn Ihr diese Sache wirklich durchziehen wollt, so werdet Ihr keinen besseren Zeitpunkt mehr bekommen.« Dann schüttelte er den verbliebenen Widerstand ab und fügte hinzu: »Mein Gebieter, ich bitte Euch um die Ehre, das erste Signal geben zu dürfen.«
»Nein.« Nur ein Wort; ein Wort, mit dem der Prinz eine Verantwortung allein für sich beanspruchte, unter der niemand außer ihm leiden sollte.
Arithon s’Ffalenn kroch vom Rand der Klippe zurück. Er ergriff den gespannten Bogen aus schwarzlackiertem Horn, setzte sich ohne Eile auf einen Felsbrocken und wählte den ersten von drei markierten Pfeilen aus, die aufgereiht auf dem staubigen Boden lagen. Die roten Bänder, die an seiner Spitze befestigt waren, flatterten über seine Schulter, als er den Pfeil anlegte. Schmal, zierlich und gefaßt, nur ein Zwerg unter dem gewaltigen Himmelsrund über Vastmark, gab er ein belangloses, trübes Bild ab, als er den Bogen spannte und sein Ziel ins Auge faßte.
Der schaurige Ausdruck tiefen Schmerzes, der in diesem Moment auf seinen Zügen lag, gab selbst seinem Kriegerhauptmann zu denken.
Dann löste sich die Sehne mit einem leisen Summen aus seinen Fingern. Der Pfeil flog hoch hinauf, beschrieb einen Bogen und stürzte dann unaufhaltsam in die Tiefe, und die Bänder entfalteten sich hinter ihm zu einem blutroten Schwanz, der im Wind hin und her schlug.
Männer,
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