Der Fluch des Sündenbuchs: Historischer Roman (German Edition)
beginnen, muss ich aber etwas essen«, sagte Assante.
Neben dem Stadttor gab es eine kleine Straßenküche. Ein wackeliger Tisch und alte Stühle luden die Gäste zum Verweilen ein. Der Wirt, ein kleiner, hagerer Mann mit dichtem Haar, drehte über einem Feuer einen Spieß, auf dem sechs Hühner goldbraun glänzten.
»Was haltet ihr davon?«, fragte Assante, und ehe Tica oder Conrad antworten konnten, hatte er schon auf einem der Stühle Platz genommen.
Assante bestellte für jeden ein Hühnchen und frisches Maisbrot. Wenig später lagen nur noch die abgenagten Knochen auf den ausgeschlagenen, alten Tonschüsseln.
»Ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn ich nichts zu essen bekommen hätte«, sagte Assante und klopfte sich zufrieden auf den flachen Bauch.
»Du hättest Tica die hübschen Ohren abgebissen«, sagte Conrad.
Augenblicklich rutschte Tica ein Stück von Assante ab. »Keine Angst«, sagte der, »so weit hätte ich es nicht kommen lassen.«
Als der Wirt kam und sie fragte, ob jemand einen Krug Chicha trinken wolle, schüttelten alle dankend den Kopf.
»Ich habe eine Frage«, sagte Conrad. »Ich suche nach meiner Verlobten. Wir wurden bei einem Schiffsunglück getrennt. Sie ist schlank, blond und hat auffallend blaue Augen.«
Der Wirt nickte: »Eine blonde Frau war vor ein paar Wochen hier.«
»Wirklich?« Conrad kippte mit seinem Stuhl vor Schreck nach hinten. Er ruderte mit den Armen und konnte sich nur knapp vor dem Umfallen retten.
»Ja«, sagte der Wirt. »Aber es wundert mich, dass sie Eure Verlobte ist, denn sie war mit einem anderen Mann unterwegs. Ich dachte, die beiden wären verheiratet.«
Aus Conrads Gesicht wich jede Farbe. Blass saß er da und starrte den Wirt ungläubig an.
»Es gibt viele blonde Frauen«, sagte Assante mitfühlend.
Aber der Wirt fiel ihm ins Wort und sagte: »Es war die erste blonde Frau, die ich in meinem Leben gesehen habe. Ihr Haar hatte die Farbe von Gold, leider war es ein bisschen kurz.« Der Mann zeigte mit der rechten Hand an sein Kinn. »Aber es war dicht und glänzte. Sie hatte ein Tuch darum gebunden, aber das ist verrutscht, deshalb hat sie es kurz abgenommen, so dass ich es sehen konnte. Es war ein wundervoller Anblick. Sicher hatte Eva im Paradies solches Haar.«
Conrad hielt sich krampfhaft am Tisch fest.
»Hat die Frau erzählt, woher sie stammt oder wohin sie unterwegs ist?«, fragte er leise.
Der Wirt schüttelte bedauernd den Kopf: »Die beiden waren nicht sehr gesprächig. Sie haben sich bloß miteinander unterhalten, in einer Sprache, die ich nicht verstanden habe.«
»Ist die Frau noch in der Stadt?«, erkundigte sich Assante.
»Ich glaube nicht. Die beiden schienen auf der Durchreise zu sein. Aber sie wollten zur Kathedrale und dann zum Markt.«
Der Wirt wischte geschäftig mit einem Tuch über den wackeligen Tisch und fragte dann: »Wollt Ihr nun einen Krug Chicha?«
Assante schüttelte dankend den Kopf, und der Wirt ging schulterzuckend zurück zu seinem Grillspieß.
»Lass uns in die Kathedrale gehen und nach deiner Jana fragen.«
»Der Wirt sagte, sie wäre verheiratet.« Conrad war fassungslos.
»Seit wann hörst du nicht richtig zu?«, fragte Assante. »Der Mann hat gesagt, dass er dachte, sie sind verheiratet, und das ist doch ganz normal. Oder ist es deiner Ansicht nach üblich, dass unverheiratete Frauen allein mit Männern reisen?«
Ein wenig erleichtert nickte Conrad. »Du hast recht, mein Freund, ich werde in die Kathedrale gehen und nach ihr fragen.«
»Ich begleite dich«, sagte Assante. Er warf Tica einen einladenden Blick zu, sie aber schüttelte den Kopf.
»Ich gehe ganz sicher in keine Kirche«, sagte sie entschieden. Angewidert verzog sie das Gesicht. »All die Bilder von gefolterten Menschen sind abscheulich, und dann noch der Tote, den man ans Kreuz genagelt hat. Nein, danke. Ich verzichte.«
Assante konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Conrad war sich sicher, dass der Afrikaner ähnlich über christliche Kirchen dachte.
»Dann treffen wir uns am Markt wieder!«, sagte er.
Damit war Tica einverstanden.
Die Kathedrale war trotz ihres üppigen Prunks bis auf zwei Frauen, die auf den Holzbänken saßen und beteten, und einem alten Priester, der neben den Kerzen an einem Seitenaltar stand, menschenleer.
Conrad ging zielstrebig auf den alten Priester zu, der über ein Kästchen gebeugt war und den Inhalt untersuchte. Assante folgte dem Freund deutlich langsamer. Der Afrikaner fühlte sich in dem
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