Der Fluch des Sündenbuchs: Historischer Roman (German Edition)
ertragen?«
San Cristóbal,
Ende April 1619
Seit Bonifàcio den Namen des Jesuiten erfahren hatte, verwendete er ihn bei jeder Gelegenheit.
»Master Francesco, mein Pferd lahmt.«
»Master Francesco, ich habe Hunger.«
»Master Francesco, wann machen wir eine Pause?«
»Master Francesco …«
Als die Türme und Dächer San Cristóbals vor ihnen auftauchten, schrie der Jesuit den Jungen entnervt an: »Ich habe meinen Namen zwanzig Jahre lang nicht mehr gehört. Du musst das Versäumte nicht in ein paar Tagen nachholen.«
Verständnislos sah Bonifàcio seinen Begleiter an.
»Rede mich einfach die nächsten Stunden nicht mit meinem Namen an«, seufzte der Jesuit.
»In Ordnung«, flüsterte Bonifàcio und schwieg, bis sie das Stadttor passiert hatten.
Der Jesuit orientierte sich am Glockenturm der Kathedrale und ritt schnurstracks darauf zur. Schwungvoll stieg er ab und band sein Pferd im Schatten einer mannshohen Pflanze, deren Name er nicht kannte, fest. Bonifàcio beeilte sich, mit dem Tempo mitzuhalten. Als Francesco die Kathedrale betrat, war er immer noch mit den Zügeln des Pferdes beschäftigt. Hastig stolperte er ihm hinterher, riss die Seitentür des Hauptportals auf und erstarrte in Ehrfurcht ob des Reichtums und der Eleganz des Bauwerkes.
Bonifàcio bekreuzigte sich und ging in die Knie. In gebückter Haltung bewegte er sich durchs Kirchenschiff, machte vor jedem vergoldeten Heiligenbild, jeder Marienstatue und jeder Christusdarstellung halt, um zu beten, und konnte sich am Prunk nicht sattsehen. Francesco hingegen marschierte zielstrebig zu einem alten Priester, der bei einem der Seitenaltäre den Kerzenhalter säuberte.
»Seid gegrüßt, Pater«, sagte der Jesuit, ohne seine Kapuze hochzuheben. Der Alte musterte ihn neugierig.
»Kommt Ihr aus Italien?«, fragte er in seiner Muttersprache.
»Ich komme aus Rom.«
»Das glaube ich nicht. Ihr redet nicht wie ein Römer. Ihr habt den Dialekt des Nordens«, sagte der Alte. »Seid Ihr zu einer der Missionssiedlungen im Westen unterwegs?«
»Nein«, knurrte der Jesuit verärgert. Der Alte war zu neugierig. »Ich reise im Auftrag des Heiligen Vaters und bin auf der Suche nach zwei Fremden, die vielleicht vor kurzem hier vorbeigekommen sind.«
»Zwei Fremde?« Der Alte musterte den Jesuit nun misstrauisch. »In unsere Kathedrale kommen viele Fremde, denn ihre Schönheit zieht Christen aus dem ganzen Land an.«
Das Interesse des Priesters irritierte Francesco. Auch wenn die Augen milchig waren, so wirkten sie wachsam und viel zu wissbegierig. Besonders beunruhigend war die Tatsache, dass der Alte ihm bekannt vorkam. Leider konnte Francesco nicht sagen, wo er ihn schon einmal gesehen hatte.
»Ich suche nach zwei Männern. Einer hat ein sehr weibliches Gesicht und auffallend blondes Haar. Der andere ist Engländer und säuft.«
Überrascht hob der Alte seinen rechten Zeigefinger und sagte: »Es waren zwei Reisende hier. Einer war blond, aber der andere kein Engländer, sondern sein schwarzer Sklave.«
»Die meine ich nicht«, sagte der Jesuit etwas ungehalten.
»Dann kann ich Euch nicht weiterhelfen. Ich sitze den ganzen Tag hier und beobachte die Leute. Zu mehr tauge ich nicht mehr. Meine Knochen sind müde, und das Rheuma plagt mich. Ich liebe die Ruhe der Kathedrale, das Land hasse ich und wünschte, ich könnte in die Heimat zurückkehren«, jammerte der Alte.
Francesco verdrehte entnervt seine Augen, was der Alte wegen der Kapuze nicht sehen konnte: »Bitte, denkt noch einmal nach. Vielleicht fällt es Euch wieder ein.«
»Nein, es waren sicher keine anderen Männer hier. Aber vor Wochen war ein Ehepaar in der Kirche. Die Frau hatte blondes Haar, das sie eigentlich unter ihrer Haube hätte verdecken sollen. Aber eine Strähne war herausgerutscht, und ich konnte sie sehen. Die Farbe leuchtete wie Gold.« Der Alte seufzte bei der Erinnerung.
Erleichtert atmete Francesco auf, am liebsten hätte er laut gejubelt, aber statt zu schreien, sagte er leise: »Das sind die Reisenden, die ich suche. Wisst Ihr, ob sie noch in der Stadt sind?«
Der Alte kratzte sich den kahlen Kopf, es war offensichtlich, dass er über etwas nachgrübelte. »Ich kenne Eure Stimme. Legt doch bitte die Kapuze ab, damit ich Euch sehen kann.«
»Ich habe meine Gründe für die Kapuze«, sagte Francesco und fügte rasch hinzu: »Ihr könnt mich nicht kennen. Euer alter Geist gaukelt Euch etwas vor.«
Aber der Alte ließ sich von seiner Idee nicht abbringen: »Doch,
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