Der Fluch des Sündenbuchs: Historischer Roman (German Edition)
riesigen Gebäude deutlich unwohl. Er hielt den Kopf gebeugt und wusste nicht recht, wie er sich verhalten sollte. Als Sklave eines spanischen Kaufmanns war ihm das Christentum nicht fremd, ganz im Gegenteil, als er zwölf war, hatte ein Priester ihn getauft, weil Villaverde darauf bestanden hatte. Aber bis jetzt war Assante nur in kleinen Hauskapellen gewesen, eine derart imposante, große Kirche hatte er nie zuvor betreten. Er hielt seine Hände gefaltet, so wie er es als Kind gelernt hatte, und lief hinter Conrad her. Der marschierte zu dem alten Priester und fragte ihn ohne Umschweife nach Jana. Wenn der Priester sein Verhalten unhöflich fand, ließ er sich nichts anmerken. Der Geistliche erinnerte sich sofort. Seine trüben, milchigen Augen weiteten sich vor Freude, und er nickte begeistert: »Ja, natürlich kann ich mich erinnern. So nette Ehepaare betreten selten dieses Gotteshaus. Die Liebe, die die beiden verbunden hat, war nicht zu übersehen.«
Conrad zuckte bei jedem Wort des Priesters zusammen, als wäre jedes einzelne ein Schlag ins Gesicht. Assante hätte dem Freund am liebsten stützend den Arm um die Schultern gelegt. Stattdessen beobachtete er ihn besorgt.
»Die Frau hatte herrlich blondes Haar wie die Frauen aus dem Norden Europas«, schwärmte der Priester und beeilte sich hinzuzufügen: »Eigentlich hätte ich es nicht sehen dürfen, da Frauen ihr Haar bedecken sollten. Aber ein paar Strähnen waren unter ihrem Tuch hervorgerutscht, und da sie und ihr Mann für die Kerzen, die sie angezündet haben, bezahlten, habe ich ein Auge zugedrückt.«
So als wollte er seine Worte bekräftigen, drückte der Alte sein rechtes Auge fest zu und verzog dabei auch den Mund. Wäre Conrad nicht völlig am Boden zerstört gewesen, hätte er die Grimasse witzig gefunden.
Der Alte schien Conrads Befindlichkeit nicht zu bemerken. Er redete munter weiter: »In der alten Heimat war alles besser, selbst die Liebe zwischen Mann und Frau.«
Trotz seiner Niedergeschlagenheit zog Conrad fragend eine Augenbraue hoch.
»Ich selbst habe die Liebe natürlich nie am eigenen Leib erfahren, aber ich habe Geschichten gehört …«, er hielt die Hand vor den Mund und kicherte.
Angewidert wandte sich Conrad von dem Alten ab.
Nach einer Weile fragte er: »Wie hat der Mann der Frau denn ausgesehen?« Er beachtete den warnenden Blick Assantes nicht, der ihm die Antwort wohl gerne erspart hätte.
Der Alte kratzte sich den kahlen Kopf, der von Altersflecken überzogen war.
»Ein gutaussehender Bursche. Dunkle Haare und helle Haut. Eine Spur zu überheblich vielleicht. Aber das sind viele Männer in seinem Alter. Ein schönes Paar, die beiden, und brave Christen, denn wie ich schon gesagt habe, sie haben für die Kerzen großzügig bezahlt.«
»Tun das nicht alle Gläubigen?«, fragte Assante. Er wollte verhindern, dass der Alte weiter die Schönheit von Janas Begleiter pries.
»Pah«, schnaufte der Priester verächtlich. »Ihr glaubt ja nicht, wie viele Halunken es unter den Indios gibt. Sie kommen und tun so, als würden sie Kerzen anzünden. In Wirklichkeit aber stecken sie die Kerzen in ihre Taschen und bestehlen die Kirche. Ein gottloses Pack sind diese Menschen. Nicht der Mühe wert, dass man ihnen den wahren Glauben bringt. Nicht alle Herren machen aus ihren Sklaven brave Christen wie Ihr.« Er sah die beiden wohlwollend an.
Assante wartete darauf, dass Conrad den Alten anfahren würde, aber nichts dergleichen geschah. Es war, als hörte er die Worte des Priesters gar nicht.
»Habt vielen Dank«, sagte Assante und winkte Conrad zum Gehen.
Doch der Priester wollte das verhindern. Er hielt Assante am Arm fest und versuchte ihn zurückzuhalten. Die Vorstellung, wieder allein in der Kirche zu sitzen und den Kerzenhalter zu bewachen, schien ihm nicht zu gefallen. Lieber wollte er sich mit den Fremden unterhalten. Hoffnungsvoll fragte er: »Soll ich Euch die Kathedrale zeigen? Es ist ein wahrlich prunkvoller Bau, der die Reinheit Gottes preist. Wir haben tonnenweise Gold der Ungläubigen eingeschmolzen und sie dazu gezwungen, den Bau durchzuführen. Mit jedem Stein, den sie geschleppt haben, kamen sie Gott einen Schritt näher.«
»Davon bin ich überzeugt«, sagte Assante und starrte auf die knöchernen Finger des Alten auf seinem Arm. Der Priester missverstand Assantes Blick und zog ihn zurück zum Seitenaltar.
»Leider bin ich zu alt für eine weite Reise, aber wenn ich könnte, würde ich heute noch ein Schiff in die
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