Der Fluch des Sündenbuchs: Historischer Roman (German Edition)
bestimmt.
»Aber wir sind gerade erst angekommen, und Ihr wolltet doch woanders hin …«, Bonifàcio überlegte.
»Gib das Nachdenken auf, es ist vergebene Liebesmühe«, herrschte Francesco ihn ungehalten an und bereute die Schärfe in seiner Stimme, als er Bonifàcio eingeschüchtert zusammenzucken sah.
»Es tut mir leid!«, entschuldigte der Junge sich.
»Vergiss es«, brummte Francesco. »Wir treffen uns in einer Stunde bei den Pferden. Ich werde am Markt frischen Proviant kaufen. Wenn du da bist, nehme ich dich mit. Wenn nicht, reise ich allein weiter.«
Er wollte freundlich klingen, aber es gelang ihm nicht. Er war noch immer so aufgewühlt, dass er zitterte, und so ließ er Bonifàcio einfach stehen. Benommen lief er Richtung Markt. Francesco ahnte nicht, dass der verwirrte Junge, sobald er außer Sichtweite war, zurück in die Kirche ging und den Alten suchte. Die Geschichte, die der geschwätzige Priester ihm bereitwillig erzählte, war so unglaublich, dass sie auch für einen Menschen mit mehr Verstand nur schwer zu begreifen gewesen wäre. Bonifàcio hörte mit offenem Mund zu, so dass Speichel auf seine Kutte tropfte. Er fragte dreimal nach, um die Geschichte noch einmal zu hören. Als die Kirchenglocken die volle Stunde läuteten, bedankte er sich und lief rasch los. Er wusste nun, dass er recht gehabt hatte, er musste seinen Herrn beschützen. Bonifàcio war froh, dass er nicht in Barinas geblieben war. Francesco Barelli brauchte seine Hilfe. Ganz egal was er selbst behauptete.
Zipaquirà,
Mai 1619
Nach tagelanger, strapaziöser Wanderung durch die Hochgebirgslandschaft der Anden erreichten Jana und Richard Ende April Zipaquirà. Die Stadt war auf den Grundfesten einer alten Siedlung gebaut worden, und die Spanier hatten nicht nur die Herrschaft über die Stadt übernommen und erfolgreich ihr System der encomienda etabliert, sondern die Eroberten auch gezwungen, Spanisch zu lernen.
Zu Janas großem Erstaunen gab es außerhalb der Stadtmauern ein kleines Nonnenkloster, das von einer Dominikanerin geleitet wurde. In einem soliden Bau aus Granitstein, der früher von den Geierfrauen, den Priesterinnen der Muiscas, bewohnt worden war, lebten jetzt zehn Nonnen. Acht davon waren Einheimische, zwei Frauen stammten aus Spanien. Es war dem Einsatz der Äbtissin Carmela zu verdanken, dass der Bau der Zerstörungswut der Spanier standgehalten hatte. Früher hatten hier die Geierfrauen die Tunjos, die wertvollen Opfergaben der Muiscas, bewacht. Als die Spanier angegriffen hatten, waren die Priesterinnen samt Schatz rechtzeitig in höher gelegene Ortschaften geflohen.
Schwester Carmela, die als eine der ersten Frauen mit einem Missionierungsauftrag die Stadt erreicht hatte, erkannte, dass der Bau den Muiscas heilig war. Es gelang ihr, das Vertrauen der Einheimischen zu gewinnen, indem sie den Tempel rettete. Danach versuchte sie, die Indios zum Christentum zu bekehren, ohne den alten Glauben in den Schmutz zu ziehen. Dafür übernahm sie altvertraute Rituale und adaptierte sie für christliche Bräuche. Schwester Carmela gelang, was keinem Priester zuvor geglückt war, sie hatte regen Zustrom zu ihrem Kloster und den Gottesdiensten, die ein befreundeter Priester aus einem der Nachbardörfer abhielt.
Die Äbtissin schien kaum älter als dreißig Jahre und empfing Jana und Richard mit herzlicher Gastfreundschaft. Sie bot ihnen eine saubere Kammer zum Schlafen und eine üppige Mahlzeit an. Als sie bemerkte, wie erschöpft Jana nach der langen Reise aussah, fragte sie freundlich: »Einige meiner Mitschwestern haben heute ihren Badetag. Wenn ich mich nicht irre, ist der Badezuber immer noch mit heißem Wasser gefüllt. Soll ich nachsehen gehen, ob das Wasser noch für Euch reicht?«
Die Vorstellung, in warmes Wasser zu tauchen und den Schmutz der letzten Wochen abzuschrubben, war äußerst verlockend.
»Das wäre wundervoll«, seufzte Jana.
Die kleine, resolute Frau mit dem runden Gesicht und der sonnengebräunten Haut lächelte zufrieden und lief in die Küche.
Kurz darauf glitt Janas müder Körper in warmes, nach Blüten duftendes Wasser. Selig schloss sie die Augen und fühlte sich zum ersten Mal seit Wochen ruhig. Es war, als hätte sie nach einer langen Reise ihr Ziel erreicht. Auch wenn sie den Schatz noch nicht gefunden hatte. Dieses Kloster, ein Ort des Friedens und der Versöhnung zwischen Spaniern und Indios, erschien ihr wie ein kleines El Dorado. Jana strich ihren mageren Körper mit der
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