Der Fluch des Sündenbuchs: Historischer Roman (German Edition)
betrachtet, wäre es vielleicht gut, wenn das Gold verwendet wird. Aber stellt Euch darauf ein, dass Ihr nicht nur Gold finden werdet.«
»Ihr meint, dass auch geheimes Wissen, Bücher, Schriften, Weisheiten versteckt wurden?«, fragte Jana hoffnungsvoll. Sie wünschte, Conrad wäre bei ihr und könnte dieses Gespräch führen.
Aber die Äbtissin schüttelte den Kopf.
»Ich denke an die Menschenopfer, die man den Göttern gebracht hat«, sagte sie ernst.
»Menschenopfer?«, fragten Jana und Richard fast zeitgleich.
»Ja, es war üblich, dass man junge Frauen, Kriegsgefangene und Sklaven den Göttern opferte, um diese milde zu stimmen. Eine unserer Nonnen, Zitkala, die heute Schwester Benedicta heißt, war dem Tode geweiht. Ein purer Zufall hat ihr Leben gerettet«, erklärte Carmela.
Vor Janas innerem Auge tauchten Bilder von Skeletten auf und die Erinnerung an eine Wasserleiche, die man aus der Moldau geholt hatte, als sie ein Kind gewesen war. Der Anblick war widerlich gewesen und hatte sich tief in ihr Gedächtnis gebrannt.
»Das ist ja abscheulich«, sagte sie angewidert.
Carmela stimmte ihr zu, meinte dann aber: »Auch wir Christen tun Abscheuliches im Namen des Herrn. Als ich meine Heimat verlassen habe, brannten in Sevilla Juden auf einem Scheiterhaufen. Der Geruch verkohlter Leichen setzte sich in meiner Nase fest, bis ich die Neue Welt erreichte.«
»Um hier gegen den Gestank brennender Indios ersetzt zu werden«, sagte Richard bitter.
Die Äbtissin nickte traurig.
»Vielleicht liegt es in der Natur der Menschen, dass er grausam ist. Gott wird uns helfen, dass das Gute am Ende siegt«, meinte sie zuversichtlich. Nach einer Weile fügte sie hinzu: »Da Ihr Euren Entschluss bereits gefasst habt, kann ich nur noch alles Gute wünschen. Ihr habt meinen Segen, falls er Euch etwas bedeutet.«
Er bedeutete Jana sehr viel, und sie umarmte die kleine Frau herzlich. Auch wenn sie Carmela erst seit ein paar Tagen kannte, so war es, als hätte sie eine Seelenverwandte getroffen.
»Wann wollt Ihr aufbrechen?«, fragte die Äbtissin.
»Morgen nach dem Frühstück«, sagte Jana. »Heute habe ich Schwester Calandria versprochen, ihr bei der Herstellung neuer Medizin zu helfen. Sie braucht frischen Hustensaft und eine Paste gegen schmerzende Krampfadern.«
Carmela verschränkte ihre Hände in den weiten Ärmeln ihrer Kutte und seufzte: »Ich wiederhole mein Angebot: Dieses Kloster steht Euch immer offen.«
Jana und Richard brachen nicht am nächsten und auch nicht am übernächsten Tag auf, sondern erst am Ende der Woche. Schwester Carmela hatte ihnen von den Maultieren abgeraten. Stattdessen sollten sie mit Lamas weiterreiten. Da die Münzen in Richards Sack sich langsam dem Ende zuneigten, bot die Äbtissin den Reisenden an, ihnen Lamas gegen eine Kaution zu leihen. Das einzig Wertvolle, das Jana besaß, war das goldene Amulett ihres Vaters. Sie reichte es der Äbtissin. Als Schwester Carmela das Schmuckstück sah, nickte sie zufrieden und meinte: »Nun bin ich sicher, dass Ihr zurückkehren werdet. Aber nehmt Euch in Acht, die Tiere sind schreckhaft und spucken, wenn sie sich bedroht fühlen.«
Als sie dem Kloster den Rücken kehrten, sagte Richard: »In zwei Tagen wissen wir Bescheid, ob die lange Reise sich gelohnt hat.«
Bitter verzog Jana den Mund.
»Was auch immer wir finden werden, es kann meinen Verlust nicht aufwiegen.«
Zipaquirà,
Mai 1619
Der Jesuit hatte Bonifàcio zur Eile getrieben und dem Jungen auch dann keine Pause gegönnt, als er erschöpft auf seinem Pferd hing. Er war fest entschlossen, die blonde Frau diesmal zu erwischen, ihr die verdammte Karte abzunehmen und den Auftrag ein für alle Mal zu erledigen. Hätte der Alte in der Kathedrale die Stadt Zipaquirà nicht erwähnt, wären sie nach Tunja geritten und hätten jede Spur der Schatzkarte verloren. Er hätte seinen Auftrag nicht erfüllt, und was dann passiert wäre, wollte er sich nicht ausmalen.
Der Alte hatte ihm die möglichen Konsequenzen eines Versagens erneut mit einer Dringlichkeit ins Gedächtnis gerufen, die nun für seine unbarmherzige Strenge verantwortlich war. Der Junge neben ihm war blass und hatte trotz seines runden Gesichts eingefallene Wangen. Dunkle Ringe lagen unter seinen schrägstehenden Augen, aber er beschwerte sich nicht. Bonifàcio wollte ihn unbedingt begleiten.
Immer wieder wiederholte der Junge: »Ich muss Euch beschützen!« Wie unglaublich lächerlich! Was sollte ein Schwachsinniger gegen die
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