Der Fluch des Sündenbuchs: Historischer Roman (German Edition)
Gefahr ausrichten, die ihm drohte?
Nicht zum ersten Mal fragte sich der Jesuit, warum er den schwachköpfigen Jungen nicht längst irgendwo zurückgelassen hatte. Die Antwort war einfach und dennoch schwer zu akzeptieren. Bonifàcio nahm ihn so an, wie er war. Er sah nicht das Monster in ihm, in das er sich in den letzten Jahren verwandelt hatte. Weder den seelischen noch den körperlichen Krüppel, sondern einen braven Christen und liebenswerten Menschen. Er wusste, dass er längst weder das eine noch das andere war. Er war ein Auftragsmörder ohne Gefühle für seine Opfer. Jahrelang hatte er geglaubt, dass er problemlos immer so weitermachen konnte. Aber dann war Bonifàcio in sein Leben getreten und hatte alles durcheinandergebracht. Schuld an der Misere war Abt Felipe in Lissabon, jener selbstverliebte, geldgierige Mann, der keinen Platz für den Schwachsinnigen in seinem perfekten Kloster gesehen hatte. Der Jesuit ballte seine verkrüppelte Hand zu einer Faust. In dem Moment wurde er von Bonifàcio aus seinen Überlegungen gerissen.
»Ist das da vorne der Ort, an den wir wollen?«, fragte der Junge. Wieder einmal war ihm der Name der Stadt entfallen.
»Ja, das da vorne ist Zipaquirà.« Er sprach den Namen besonders deutlich aus, in der Hoffnung, dass seine Bemühungen irgendwann Früchte tragen würden.
»Es soll in der Stadt ein Kloster geben, das von Dominikanerinnen geleitet wird. Wir werden es gleich aufsuchen, denn wo sonst, wenn nicht bei Nonnen, soll eine Frau Unterschlupf suchen?«
Wenig später klopfte Bonifàcio an die Pforte des Dominikanerklosters. Die Äbtissin selbst öffnete ihnen und schien wenig überrascht über den Besuch. So als hätte sie die Männer erwartet, führte sie sie in den Garten und bot ihnen Erfrischungen an.
»Darf ich Euch eine Tasse Mazamorra anbieten?«, fragte die kleine zierliche Frau mit dem runden Gesicht und fügte erklärend hinzu: »Das ist dickflüssig gekochter Mais mit Wasser und Milch.«
Bevor der Jesuit ablehnen konnte, nickte Bonifàcio begeistert, und die Äbtissin verschwand in dem schlichten Steinbau, der bis auf ein nachträglich angebrachtes Kreuz an einer der Zinnen des Daches keine christlichen Symbole aufwies und eher an einen heidnischen Tempel erinnerte als an ein Kloster.
Bonifàcio ließ sich erschöpft auf einem der Stühle nieder, während Francesco ungeduldig stehen blieb. Er wollte all die unnötigen Höflichkeitsgesten überspringen und gleich zum Wesentlichen kommen, aber der Junge hielt ihn davon ab. Wäre er allein unterwegs gewesen, hätte er der Frau bereits alle notwendigen Informationen entlockt.
»So setzt Euch doch«, rief ihm Schwester Carmela einladend zu. Sie erschien erneut im Garten und balancierte ein Tablett mit einem Krug und drei Bechern vor sich her. Geschickt stellte sie alles auf dem kleinen Steintischchen vor Bonifàcio ab.
»Habt Dank für Eure Gastfreundschaft«, sagte der Jesuit gepresst. »Aber wir sind nicht hier, um den regenfreien Nachmittag in Eurem wunderschönen Garten zu verbringen.«
»Das habe ich auch nicht erwartet«, erwiderte Carmela, während sie die Becher einschenkte und sowohl Bonifàcio als auch Francesco einen reichte.
Mit seiner unverletzten Hand nahm er ihn entgegen. Doch statt davon zu trinken, sagte er nur: »Ich brauche Informationen von Euch.«
»Ein wichtiger Mann wie Ihr sucht bei mir nach Informationen?« Carmelas schmale Augenbrauen schossen nach oben.
Für einen Moment war Francesco überrascht.
»Woher wisst Ihr …?«, fragte er irritiert.
»Als Ihr eben den Becher entgegennahmt, habe ich den Siegelring auf Eurem Finger gesehen«, erklärte Carmela.
Verärgert stellte Francesco den Becher wieder ab. Er hatte vergessen, den Ring wieder auf die fingerlose Hand zu stecken. Während der letzten Tage hatte sich die dünne Haut seiner vernarbten Hand entzündet. Der Ring hatte ständig dagegen gerieben. Um sich Schmerzen zu ersparen, hatte er den Ring auf den Zeigefinger der anderen Hand gesteckt. Francesco war verweichlicht und unvorsichtig geworden. Nun musste er aufpassen, diese Frau täuschte mit ihrer Gastfreundschaft Harmlosigkeit vor. In Wirklichkeit verbarg sich hinter der hohen Stirn ein scharfer Verstand.
»Wir sind auf der Suche nach einer jungen Frau mit blondem Haar und einem Engländer. Wahrscheinlich sind sie vor kurzem hier in Eurem Kloster gewesen.«
Schwester Carmela setzte sich auf die Steinbank, um Zeit zu gewinnen.
»Und wenn dem so wäre?«, fragte sie
Weitere Kostenlose Bücher