Der Fluch des Sündenbuchs: Historischer Roman (German Edition)
vorsichtig.
»Dann will ich wissen, wohin die zwei unterwegs sind. Ich muss Euch nicht daran erinnern, dass ich im Auftrag des Heiligen Vaters unterwegs bin. Ihr habt den Siegelring bereits gesehen.«
Bonifàcio hatte seinen Becher geleert und fragte Francesco, ob er auch seinen austrinken dürfe.
Ungeduldig schob der Jesuit dem Schwachkopf seine Mazamorra zu.
»Es tut mir aufrichtig leid, dass ich Euch nicht weiterhelfen kann«, sagte Carmela. »Die Menschen, nach denen Ihr sucht, sind zwar hier gewesen, aber sie sind bereits vor Tagen abgereist. Wenn ich sie richtig verstanden habe, wollten sie weiter an die Küste.«
»Ich fürchte, Ihr wisst nicht, wofür der Name Fraternitas Secreta steht«, zischte Francesco verärgert. Er hatte dieses Versteckspiel satt. Auch wenn die Frau mit fester Stimme sprach und nicht rot wurde, so spürte er, dass sie log. In den letzten Jahren hatte er einen sechsten Sinn dafür entwickelt.
»Natürlich weiß ich, wofür der Name steht. Er ist das Synonym für Angst, Erpressung und Willkür. Vielleicht auch für Folter und Tod«, sagte Carmela unbeeindruckt und löste damit Verwirrung bei ihrem Gegenüber aus.
Wie konnte es sein, dass eine hilflose Frau sich nicht vor ihm fürchtete. Francesco griff nach seiner Kapuze und zog sie nach hinten. Sein vernarbtes, nasenloses Gesicht mit der fast durchsichtigen, gespenstisch weißen Haut glänzte in der Sonne.
»Falls Ihr mich mit Eurem Anblick einschüchtern wollt, so muss ich Euch enttäuschen. Ich habe die Christianisierung der Indios miterlebt. Euer Gesicht ist harmlos gegen die Bilder, die mich nachts noch quälen und mir manchmal den Glauben an unsere Kirche, nicht aber an unseren Herren nehmen.«
Francesco schnappte nach Luft. Jetzt blieb ihm nur noch die altbewährte Methode mit seinem Messer. Doch Bonifàcio saß neben ihm, und er konnte sich noch gut an die Szene in Barinas erinnern. Sie durfte sich nicht wiederholen. Seit der Junge bei ihm war, schien alles schiefzulaufen.
»Schade, dass Ihr den Auftrag des Heiligen Vaters nicht unterstützen wollt. Ich hoffe, es ist Euch bewusst, dass der Bischof von Caracas davon erfahren und seine Konsequenzen ziehen wird. Eure Tage als Äbtissin dieses Klosters sind gezählt.«
Schwester Carmela lächelte. »Ihr schmeichelt mir. Glaubt Ihr wirklich, der Bischof von Caracas kümmert sich um ein winziges Nonnenkloster in den Anden?«
Eigentlich sollte Francesco nun verärgert sein, aber statt Wut spürte er Verwunderung in sich wachsen. Woher nahm diese kleine, zarte Frau ihren Mut? Ein heftiger Windstoß konnte sie problemlos umwehen, und dennoch bot sie ihm angstfrei die Stirn.
»Der Saft ist gut«, schmatzte Bonifàcio. »Trinkt auch«, forderte er Francesco auf.
Die Äbtissin schenkte beide leeren Becher noch einmal voll und reichte dem Jesuiten einen davon. Gedankenverloren nahm er ihn entgegen, nippte daran, merkte aber nicht, wie erfrischend er schmeckte. Wenn er seinen Auftrag ausführen wollte, musste er den Jungen und die Äbtissin für einen Moment loswerden und dann im Garten des Klosters warten, bis eine der Nonnen aus dem seltsamen Gebäude herauskam. Die Frauen konnten nicht ewig darin versteckt bleiben. Francesco wusste, dass ein junges Mädchen beim Anblick seines Gesichts alles erzählen würde, was er wissen wollte. Vielleicht konnte er die Äbtissin dazu bringen, Bonifàcio den Kräutergarten zu zeigen. Der Junge liebte bunte Blumen.
Angespannt lehnte er sich zurück, hörte halbherzig, aber bemüht freundlich dem Gespräch zwischen der Äbtissin und Bonifàcio zu und entdeckte hinter einem der kleinen Fenster einen Schatten. Sicher wartete dort eine der Nonnen darauf, endlich wieder in den Garten zu dürfen. Für einen kurzen Augenblick hatte Francesco Mitleid mit ihr. Er dachte, dass sie im Gebäude bleiben würde, wenn sie wüsste, was sie erwartete.
In der Nähe der
Lagune von Guatavita,
Mai 1619
»Es muss hier irgendwo einen See geben«, sagte Jana und wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. Es hatte zu regnen aufgehört, dennoch klebte eine feine Schicht aus Schweiß und Regentropfen auf ihrem Gesicht. Das behagliche Gefühl, das Wärme und ein sauberes Bett ihr noch vor kurzem beschert hatten, war längst wieder verschwunden.
Richard trat zu ihr. Er hatte seit vorgestern keinen Tropfen Zuckerrohrbrand getrunken. Der Schweiß auf seiner Stirn war die natürliche Reaktion seines Körpers auf das Fehlen des Alkohols.
»Zeigt mir noch einmal
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