Der Fluch des Sündenbuchs: Historischer Roman (German Edition)
die Karte«, sagte er und beugte sich über ihre Schulter. Mit seinem rechten Zeigefinger fuhr er die Linien auf dem festen Papier ab. »Wir sind irgendwo hier.« Er schaute sich suchend um. »Laut Karte müssten wir schwimmen, weil wir uns mitten in einem See befinden. Die kleine Insel mit der vermeintlichen Höhle sollte irgendwann vor uns auftauchen. Vielleicht dort.« Richard streckte seinen Arm aus und deutete auf eine kahle, ebene Stelle zu ihrer Rechten.
»Das ergibt doch keinen Sinn«, sagte Jana. Erschöpft ließ sie sich auf den feuchten Boden sinken. Sie war Tausende von Meilen gereist, hatte Conrad verloren, und nun saß sie auf einer Hochebene in den Anden, wo weit und breit kein See in Sicht war. Nicht einmal ein kleiner Teich, ein Bächlein oder eine Regenlacke. Gar nichts. Auf dem sandigen Boden wuchsen üppige Farne, Bromelien und Greisenbart statt Algen und Seerosen.
Jana ließ gedankenversunken ihre Hand durch den nassen Sand gleiten. Die feinen Körner fühlten sich kühl an und rieselten schwer durch ihre Finger. Erneut vergrub sie ihre Hand darin. Ihre Finger stießen auf etwas Hartes, Scharfes. Janas Hand zuckte zurück, sie steckte ihren Finger in den Mund. Als sie den Blutstropfen weggeschleckt hatte, wischte sie vorsichtig den Sand zur Seite und traf auf den Splitter einer flachen Süßwassermuschel. Als Kind hatte sie solche Muscheln in einem Teich in der Nähe von Prag gefunden.
»Seht nur!«, sagte sie erstaunt und hielt Richard den Splitter entgegen.
»Habt Ihr Gold gefunden?«
»Noch nicht. Aber vielleicht bald«, meinte Jana zuversichtlich. »Hier im Sand liegen Muscheln. Das heißt, dass irgendwann einmal ein See hier gewesen sein muss.«
Enttäuscht schüttelte Richard den Kopf: »Das kommt doch immer wieder vor. Ich habe in Südengland Muscheln an Orten gefunden, wo es seit Jahrhunderten kein Wasser gibt.«
Jana runzelte skeptisch die Stirn. Wie kamen Muscheln an einen wasserlosen Ort? Sie wollte auf keinen Fall aufgeben.
»Wir könnten doch genau an der Stelle zu graben beginnen, an der sich laut Karte der Schatz befindet«, meinte sie.
»Auf der Karte ist ein See eingezeichnet, den es nicht gibt. Ebenso ein Ufer mit Bäumen und Felsen, die es ebenfalls nicht gibt. Wir haben keine Ahnung, wo die vermeintliche Höhle liegt. Wir müssten das ganze Gebiet umgraben.« Dazu deutete Richard mit einem Arm über das Gelände.
Jana warf erneut einen Blick auf die Karte, dabei kannte sie mittlerweile jeden Strich darauf. Sie versuchte sich an die Darstellung auf dem Amulett zu erinnern. Vielleicht war die Insel in Form der gefiederten Schlange in Wirklichkeit etwas ganz anderes. Mutlos ließ sie die Karte wieder sinken. Ob es hier gefiederte Schlangen gab? Wenn dem so war, sollte sie besser nicht mit bloßen Händen im Sand buddeln. Jana stand auf und klopfte ihre Röcke aus. Dann sah sie sich noch einmal um. Hatten die Bäume, Büsche oder einer der Felsen Ähnlichkeit mit einer Schlange? Sie blinzelte, konnte aber nichts erkennen.
»Ob Sir Walter Raleigh doch recht hatte und der Schatz sich im See von Guatavita befindet?«, fragte sie vorsichtig.
»Raleigh hat den See in der Nähe von Tunja eingezeichnet. Zum einen wissen wir, dass es in Tunja keinen See gibt, zum anderen hat die Äbtissin uns gesagt, dass die Spanier den See schon viel Male untersucht haben, aber ohne Erfolg.«
»Aber vielleicht hat das Symbol der Sonne etwas zu bedeuten«, meinte Jana.
»Glaubt mir, Jana, Raleigh war ein alter Mann, seine Augen waren nicht mehr die besten. Sicher hat er die Federn der komischen Schlange für eine Sonne gehalten.«
Jana steckte ihren Zeigefinger in den Mund und begann nachdenklich an ihrem Nagel zu kauen. Das hatte sie seit Jahren nicht mehr gemacht. Verärgert nahm sie ihn wieder heraus.
»Richard, meint Ihr nicht auch, dass der Felsen dort hinten aussieht wie die Sonne auf Eurer Karte?«, fragte sie.
»Jeder runde Felsen hat Ähnlichkeit mit der Sonne«, sagte Richard amüsiert.
Jana zuckte mit den Schultern. Sie wollte zu diesem Felsen gehen. Seine Form hatte etwas unnatürlich Perfektes, so als hätten Menschenhände nachgeholfen.
»Wir können uns den Felsen ja mal aus der Nähe ansehen. Schließlich haben wir in den letzten Wochen so wenige davon gesehen.« Jana ignorierte seinen Sarkasmus und ging los. Richard überholte sie. Kaum hatte er den runden Steinriesen erreicht, rief er aufgeregt: »Jana, schnell, kommt und seht Euch das an!«
Mit klopfendem Herzen hob
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