Der Fluch des Sündenbuchs: Historischer Roman (German Edition)
herzensgute Menschen, die nichts als Freude empfinden werden, wenn sie mich wiedersehen.«
»Sie wollen nicht, dass du dich mit einem wohlhabenden Goldschmied vermählst?«
Tica verzog das Gesicht zu einer Grimasse: »Du willst die Wahrheit hören, also bitte: Ich wurde von fremden Männern verschleppt. Ich bin nicht mehr unberührt. Kein Goldschmied und auch sonst kein Handwerker, der etwas auf seinen Ruf hält, würde mich freiwillig zur Frau nehmen.«
Das Grinsen auf Assantes Gesicht wurde immer breiter: »Wenn das Leid, das du erfahren hast, nicht so groß gewesen wäre, müsste ich den Spaniern fast dankbar sein, dass sie dich mitgenommen haben.«
Er küsste sie auf die Nasenspitze und hätte auf ihrer Schulter weitergemacht, wenn Conrad sie nicht unterbrochen hätte: »Der Regen wird wieder dichter, und mir ist wirklich kalt. Könnt ihr euch im Dorf weiterküssen?«
Nur ungern ließ Assante von Tica ab, doch Conrad hatte recht. Sie waren völlig durchnässt und brauchten dringend einen Platz zum Aufwärmen.
Tica erkannte ihr Dorf kaum wieder. Viele der abgebrannten Häuser waren neu aufgebaut worden. Der Brunnen war größer und moderner geworden, und auf dem Dorfplatz in der Mitte befand sich eine kleine Kapelle aus grauem Stein, an dessen niedrigem Kirchturm ein Kreuz prangte. Ticas Elternhaus hatte sich nicht verändert. Wie durch ein Wunder hatte es den Angriff der Spanier überstanden. Das Wohnhaus und der angrenzende Stall, in dem zwei Ziegen und ein paar Hühner untergebracht waren, sahen genauso aus wie an dem Tag, an dem Tica von den Konquistadoren entführt worden war.
Noch bevor Tica an die niedrige Tür aus Holz klopfen konnte, wurde sie aufgestoßen, und eine kleine, untersetzte Frau mit weißem Haar und faltigem Gesicht breitete schluchzend die Arme aus. Sie sprach etwas in einer Sprache, die weder Conrad noch Assante verstanden, und umarmte Tica weinend. Es dauerte schier eine Ewigkeit, bis die Alte sie alle ins Haus bat.
Es überraschte weder Assante noch Conrad, dass die Alte Ticas Mutter war. Ticas Vater war bei dem Überfall der Spanier gestorben. Überwältigt von der unerwarteten Rückkehr ihrer Tochter tischte Ticas Mutter ein Festessen auf. Es gab Suppe aus Wurzelgemüse, frische Forellen und einen Eintopf aus Mais, Bohnen und Kräutern. Außerdem servierte Ticas Mutter kleine Tiere, die sie am Spieß grillte. Conrad hatte dergleichen nie zuvor gesehen. Die Tiere erinnerten ihn an dicke Mäuse ohne Schwänze. Ihr Fleisch war zart und überraschend saftig.
Nach dem üppigen Festessen erzählte Tica von ihren letzten fünf Jahren. Wobei Conrad und Assante den Eindruck hatten, dass die junge Frau bloß eine schonende Kurzversion ihres Leidens preisgab. Dann war Ticas Mutter an der Reihe. Sie zählte auf, wer gestorben war, wer geheiratet und wer Kinder in die Welt gesetzt hatte. Auf Ticas Frage nach der neuen Dorfkirche antwortete sie mit Begeisterung: »Nachdem die Spanier abgezogen waren und nur Verwüstung zurückgelassen hatten, sind die Dominikaner gekommen. Drei wundervolle Männer, die uns halfen, unser Dorf wieder aufzubauen.«
Die alte Frau geriet ins Schwärmen, als sie von der Großzügigkeit der drei Christen berichtete.
»Sie haben uns nicht nur geholfen, die zerstörten Häuser zu reparieren, sondern uns auch von ihrem Gott erzählt, der keine Menschenopfer fordert und in dessen Augen alle Menschen gleich viel wert sind. Ganz egal ob sie als Unfreie oder Könige zur Welt kommen.«
Erstaunt hob Conrad die Augenbrauen. Wie lange war es her, dass er diese Worte aus dem Mund eines Geistlichen gehört hatte. Aber war es nicht das, was Christus gelehrt hatte?
Ticas Mutter redete weiter, und ihre Begeisterung nahm nicht ab. »Die Dominikaner helfen den Kranken und unterstützen all jene, denen man alles genommen hatte. Als letzten Monat der Mann der alten Akala gestorben ist, haben sie dafür gesorgt, dass sie weiterhin in ihrem Haus wohnen kann und die Arbeit auf ihrem Feld erledigt wird. Auch mir haben sie geholfen«, sagte die alte Frau. »Als sie dich geraubt, deinen Vater und deinen jüngsten Bruder getötet hatten, blieb mir nicht viel, an dem ich mich hätte festhalten können. Die Dominikaner sorgten dafür, dass ich genug zu essen hatte, und erst als deine zwei älteren Brüder aus dem Nachbardorf zurückkehrten, in das sie vor Jahren gezogen waren, stellten sie die Hilfe wieder ein, da es andere gab, die sie dringender benötigten.«
Etwas an der Geschichte
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