Der Fluch des Sündenbuchs: Historischer Roman (German Edition)
Sturmbö geschluckt.
Plötzlich landete ein Rundholzteil neben Jana. Es war ein Stück vom Fockmast. Das Teil rollte über Deck und verfing sich in einem Netz. Der Rest des Mastes hing abgeknickt wie ein dünner Strohhalm über ihr und drohte ebenfalls herunterzukommen. Daneben baumelten zwei Seile, die sich gelöst hatten und nun unkontrolliert durch die Luft peitschten. Jana duckte sich, um nicht davon getroffen zu werden. Sie hielt sich dicht am Boden.
Da ging ein Ruck durch das Schiff, so als wäre das Schiff gegen etwas gestoßen, aber es gab weit und breit nichts als Wasser. Jana konnte sich nicht mehr festhalten, Conrad rief ihren Namen und streckte seinen Arm nach ihr aus, aber Jana schlitterte von einer Seite des Schiffs zur anderen. Mit voller Wucht knallte sie gegen ein Holzfass. Ihre Schulter schmerzte, hoffentlich hatte sie sich nichts gebrochen. Janas neuer Platz glich einer kleinen Nische, in der sie sich verkriechen konnte, ohne erneut weggerissen zu werden. Zeitgleich mit dem Ruck hatte sich vom Achterdeck eine Truhe aus der Befestigung gelöst. Sie rutschte nun den Stufen entgegen. Jana sah, dass am Ende der Stufen Fermosa stand. Sie schrie ihm eine Warnung zu, aber ihre Worte wurden vom Sturm geschluckt. Krachend kippte die Truhe direkt auf den Proviantmeister. Der Mann schrie so laut, dass seine Stimme für einen kurzen Moment den Kampf gegen den Sturm gewann. Gleich darauf schwieg er und blieb in gekrümmter Haltung liegen. Jana suchte nach Conrad. Er hockte auf der anderen Seite des Schiffs und hatte den Unfall ebenfalls mit angesehen. Nun rappelte er sich hoch und kroch auf allen vieren zu Fermosa. Seine nassen Haare hingen ihm tief in die Stirn, er wischte sie mit dem Handrücken zur Seite.
Jana wollte ihn aufhalten. Es war sinnlos, dass er zu dem Mann kroch. Fermosa war mit Sicherheit tot. Aber Conrad war schon unterwegs, bloß ein paar Schrittlängen von Jana entfernt. Plötzlich hielt auch sie es in ihrer Nische nicht mehr aus. Sie wollte zu Conrad. Der Gedanke an seine Nähe weckte ein Gefühl von Sicherheit, die es auf dem Schiff nicht gab. Jana zitterte vor Kälte und Angst. Entschlossen folgte sie Conrad. Aber der Sturm zerrte an ihrem triefnassen Kleid und drückte sie gegen die Spanten. Sie stieß sich mit beiden Händen ab und spürte, wie ihre Haut über das nasse Holz rutschte. Jana geriet ins Straucheln und stürzte. Ungeschickt fing sie sich mit dem Unterarm auf und bemerkte zu spät, dass sie auf einem metallenen Gegenstand gelandet war. Augenblicklich durchzuckte sie ein stechender Schmerz. Der spitze Haken bohrte sich tief in ihren Unterarm. Ihr wurde schwindelig. Zum Pfeifen und Toben des Windes kam nun auch noch das Rauschen ihres eigenen Bluts in den Ohren. Ihr wurde übel. Mit der unverletzten Hand zog sie den Haken heraus. »Nur nicht hinsehen«, dachte sie verzweifelt. Jana spürte, wie warmes Blut sich mit eiskaltem Wasser mischte. Salzwasser lief ihr in Strömen über Kopf, Hals und Arme. Mit der unverletzten Hand riss Jana ein Stück ihres Unterrocks aus ihrem Kleid und wickelte den nassen Stoff um die Wunde. Der Schmerz dehnte sich auf ihren ganzen Körper aus. Augenblicklich färbte sich der Stoff rot. Für einen Moment blieb sie am Boden hocken, legte die Stirn gegen die Knie und versuchte ruhig durchzuatmen. Ihr Puls pochte in den Schläfen und im verletzten Unterarm. Mit jedem Atemzug schien ein neuer Blutschwall aus der Wunde zu strömen.
In dem Moment wurde das Schiff zur Seite gerissen, und Jana rutschte erneut gegen die Spanten. Diesmal krachte sie mit der anderen Schulter dagegen. Wo war Conrad? Sie schaute sich suchend um und entdeckte ihn beim Proviantmeister. Verzweifelt kroch sie zu ihm. Sie wollte nicht allein sterben, sondern von Conrad gehalten werden, wenn die nächste Riesenwelle das Schiff erfasste und unter sich begrub.
Als Conrad Jana bemerkte, schüttelte er den Kopf und schrie etwas, das Jana nicht verstehen konnte. Er bedeutete ihr mit beiden Händen, wieder zurückzukriechen. Aber die Warnung kam zu spät. Jana hatte den zertrümmerten Kopf bereits gesehen. Nichts an dem entstellten Gesicht erinnerte noch an Fermosa.
Erneut krachte Holz. Jana konnte nicht erkennen, woher das Geräusch kam. Vielleicht war der Hauptmast gebrochen. Plötzlich war Conrad an ihrer Seite und nahm sie in den Arm. Für einen Moment fühlte sie sich sicher, sie spürte die Wärme, die von ihm ausging. Wenn sie jetzt sterben musste, dann in Conrads
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