Der Fluch des Sündenbuchs: Historischer Roman (German Edition)
zufriedenzustellen.«
Entrüstet schüttelte Tom den Kopf.
»Master Walton. Ich hoffe, dass das Aqua Vitae Euren Verstand verwirrt hat und Ihr nicht wirklich so denkt«, sagte der Ire streng. Der Mann hatte keinen Sinn für Humor. Richard seufzte ergeben. Er betrachtete neugierig den Reisesack, den Tom mit sich schleppte. Richard wusste, dass sich Raleighs Karte und ein Sack voll Münzen darin befanden. Keine Englischen Crowns, die seit Edward VI. auch als Silbermünzen geprägt wurden, sondern Spanische Reales, die hier in England »Piece of Eight« genannt wurden. Sie verfügten über Teilungslinien, mit denen man die Münzen im Bedarfsfall tatsächlich teilen konnte. Diese Münzen waren die übliche Währung in der Neuen Welt. Doch was trug Tom sonst noch bei sich?
»Was zum Teufel ist in dem Sack? Es sieht ja so aus, als würdest du deinen ganzen Hausrat mittragen.«
Überrascht blieb Tom stehen und zog beide buschigen Augenbrauen hoch.
»Kein Grund, den Teufel zu nennen!«, ermahnte Tom. Dann fügte er hinzu: »Ich trage nur das Wichtigste mit mir.«
»Und das wäre?«, wollte Richard wissen.
»Ein scharfes Messer, einen Holzlöffel, einen Becher, Verbandszeug, Zündzeug, Ersatzkleidung, ein Stück Seife, ein paar Silbermünzen, Nadel und Faden, eine warme Decke und …«, er machte eine Pause, bevor er weitersprach, »… eine Bibel.«
»Du schleppst eine Bibel mit?«, fragte Richard fassungslos. Alle anderen Dinge fand er durchaus vernünftig. Aber eine Bibel? Hatte Tom etwa vor, jeden Abend mit ihm zu beten? Richard selbst hatte seinen Glauben an Gott vor Jahren verloren, und das wusste Tom.
»Nun gut«, sagte er schulterzuckend. »Vielleicht heitert uns ein gereimtes Vaterunser oder ein in Rätsel verpacktes Ave-Maria auf hoher See auf. Wer weiß!«
Toms Gesicht verfinsterte sich, doch er erwiderte nichts. Stattdessen wies er grinsend auf das einfache Holzbrett, das die Anlegestelle mit dem Schiff verband. Richard wurde schlecht. Qualvoll erinnerte er sich daran, wie er als Kind über ein Brett balancieren musste und kopfüber in einem Jauchefass gelandet war. Hätte sein älterer Bruder ihn nicht gerettet, wäre er im Dreck erstickt. Er blickte ins trübe, schmutzige Wasser, wo die Abfälle der Stadt schwammen, und überlegte, was wohl mit all den Menschen passierte, die beim Überqueren des Brettes dort hineinstürzten. Holten die Seeleute sie lachend heraus, oder ertranken sie, noch bevor sie das Schiff je betreten hatten? Kein ruhmreicher Tod, aber wer konnte sich das schon aussuchen?
Vorsichtig betrat Richard das Brett und setzte einen Fuß vor den anderen. Die Holzlatte federte unter jedem seiner Schritte. Richard hielt die Luft an und wünschte, er hätte mehr Aqua Vitae getrunken. Aber nun war es zu spät. Ohne nach unten zu blicken, ging er weiter, die Arme hielt er weit vom Körper gestreckt. Kurz bevor er das Schiff erreichte, verlor er das Gleichgewicht, geriet ins Trudeln, konnte jedoch rasch noch zwei weitere hastige Schritte machen und sprang erleichtert an Deck der Anne Rose, wo der erste Steuermann ihn grinsend begrüßte. Richard schloss für einen Moment die Augen. Er war nicht ins Wasser gefallen, er konnte mit sich selbst zufrieden sein.
»Das erste Mal auf einem Schiff?«, fragte der drahtige Mann, der, wie sein Grinsen offenbarte, nur noch drei Zähne im Mund hatte.
Richard zuckte entschuldigend mit den Schultern. Dann schaute er zurück. Tom lief trotz des schweren Sacks auf seiner Schulter so geschickt über das Brett, als hätte er sein ganzes Leben auf einem Schiff verbracht. Kurz darauf sprang er elegant neben Richard an Deck.
»Willkommen an Bord«, sagte der Steuermann und klopfte Tom wohlwollend auf die Schulter.
Richard schüttelte ungläubig den Kopf. Auch er klopfte dem Iren auf die Schulter und meinte: »Du darfst mir drei Vaterunser vorlesen, wenn du mir versprichst, dass ich hinterher ebenso geschickt über ein Brett laufen kann wie du.«
Tom verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Die Gebete lese ich Euch gerne vor. Dass sie Euch zu einem Seemann machen, bezweifle ich allerdings.«
»Dann lass es lieber!«
Atlantik,
Oktober 1618
Erst mit dem Aufgehen der Sonne hatte der Sturm plötzlich und abrupt nachgelassen. Die ersten Lichtstrahlen zeigten das gesamte Ausmaß der Zerstörung. Das Unwetter hatte den Hauptmast und den Fockmast gebrochen, beide hingen nun geknickt in den Seilen. Trümmer von Kisten und Fässern lagen zerstreut herum. Holzsplitter,
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