Der Fluch des Sündenbuchs: Historischer Roman (German Edition)
hinnimmt.«
Conrads Gesicht spiegelte seine Gefühle wider. Rasender Zorn mischte sich mit hilfloser Ohnmacht. Er wollte etwas erwidern, aber es fiel ihm nichts Passendes ein.
Schließlich drehte sich Jana zur Seite und sagte: »Komm und hilf mir beim Kochen. Rico sitzt im Hauptmast und kommt frühestens in drei Stunden wieder runter, wenn die nächste Wachablöse ist.«
Aber Conrad hielt ihre Hand fest und hinderte sie am Gehen.
»Das nächste Mal schlage ich ihm den Schädel ein, und du wirst mich nicht davon abhalten.«
Jana lächelte müde: »O doch, das werde ich. Denn ich will nicht, dass sie dich hinterher den Haien zum Fraß vorwerfen. Es soll ein unschöner Anblick sein, all das Blut, wenn die Fische zubeißen.«
Gegen seinen Willen grinste Conrad.
»Bevor ich ihn erschlage, spucke ich ihm ins Essen.«
»Eine hervorragende Idee«, meinte Jana. »Und er wird ganz sicher nichts davon bemerken, denn die Bohnen, die wir heute verkochen, bewegen sich – sie sind voller Käfer und Maden.«
Sie ging Conrad voraus und hoffte, dass er ihr Gesicht nicht sehen konnte. Jana war alles andere als zufrieden. Natürlich wusste, sie, dass sie mit jedem ihrer Worte recht hatte, dennoch fühlte sie sich wie ein Feigling, und diese Vorstellung gefiel ihr ganz und gar nicht.
Das Unwetter kündigte sich am späten Nachmittag an. Dunkle Wolken türmten sich zu furchteinflößenden Säulen im Westen auf. Die Santa Lucia segelte direkt darauf zu. Kapitän Valdiva ließ die Segel einholen und gab den Befehl, alle losen Gegenstände mit Seilen festzubinden. Auf dem Handelsschiff befanden sich zwar keine Kanonen, die dafür vorgesehenen Öffnungen gab es dennoch. Sie mussten nun fest verriegelt werden. Dem Sturm auszuweichen war unmöglich und das Unheil nur noch wenige Stunden von ihren entfernt. Während hektisch die letzten Vorbereitungen getroffen wurden, wuchs die Nervosität der Mannschaft.
Kurz vor Sonnenuntergang setzte schließlich der Sturm mit einer Heftigkeit ein, die selbst die erfahrensten Matrosen zum Beten veranlasste.
Auch Jana, die seit Monaten keinen ordentlichen Gottesdienst mehr besucht hatte, murmelte verzweifelt jene Gebete, die sie als Kind hilfesuchend an Gott geschickt hatte. Sie kauerte unter dem Achterdeck und klammerte sich mit einer Hand an einem Balken, mit der andern an Conrad fest. Erinnerungen an ein Schiffsunglück vor Santiago de Compostela zogen an ihrem inneren Auge vorbei. Damals hatten sie und Conrad sich ans Festland retten können. Doch wohin konnten sie jetzt, sollte die Santa Lucia sinken? Das Schiff befand sich irgendwo mitten auf dem Atlantik, weit weg von jedem Festland. Rundherum toste das Wasser und schwappte eiskalt von allen Seiten über die Planken der Nao. Einer Feder gleich wurde die Santa Lucia hin und her gerissen. Steuermann und Kapitän hatten jede Kontrolle verloren. Die Ruderpinne war dem Sturm ausgeliefert, und kein Mensch hätte sie halten können.
Jana drehte sich um und sah, wie eine riesige Welle sich aufbaute, sie erfasste die Nao und trieb sie in schwindelerregende Höhe. Kurz darauf fiel das Schiff und landete krachend auf dem schäumenden Wasser. Die Welle, die das Schiff eben noch mitgenommen hatte, schlug nun mit voller Wucht darüber zusammen.
Ein Matrose schlitterte über Deck und stürzte über Bord. Augenblicklich verschwand er in den schwarzen Wellen. Zwei weitere Männer versuchten sich am Hauptmast festzuhalten, ein älterer Matrose band ein Seil um seinen eigenen Leib.
Das Tosen des Sturms stieg zu einem infernalen Lärm an. Bilder der Apokalypse schossen Jana durch den Kopf. Als Kind hatte sie ihre Tante in eine katholische Kirche begleitet. Dort hatte sie Darstellungen des Weltuntergangs gesehen. Der Künstler hatte Teufel, Monster und die Sintflut gemalt. Keines der Bilder konnte mit dem mithalten, was Jana eben erlebte. Es kam ihr lächerlich vor, dass sie sich damals davor gefürchtet hatte.
Beinahe alle Geräusche auf dem Schiff wurden vom Sturm geschluckt. Meerwasser klatschte in Janas Gesicht. Es war eisig, aber sie spürte die Kälte nicht. Als sie die Augen wieder öffnete, brannte das Salzwasser darin, und sie war für einen Moment blind. Mit klammen Fingern rieb sie über die Lider. Neben ihr schrie ein Matrose auf. Als Jana wieder etwas sah, konnte sie nur seinen offenen Mund und sein schmerzverzerrtes Gesicht sehen, sein rechter Unterarm stand in einem unnatürlichen Winkel vom Körper ab. Seine Schreie wurden von einer neuen
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