Der Fluch des Sündenbuchs: Historischer Roman (German Edition)
einen Einsatz auf einem der Schiffe der Niederländischen Krone meldete. Die Männer hatten die Aufgabe, spanische Handelsschiffe in der Karibik zu überfallen. Bei einem dieser Überfälle landete Pieter in der Gruppe von Männern, in der er jetzt lebte. Er kaperte nun nicht mehr, um die maroden Staatskassen des niederländischen Königs zu sanieren, sondern um seine eigenen Taschen mit Piastern zu füllen.
Conrad und Assante staunten immer noch über die ungewöhnliche Form des Zusammenlebens der Männer. Bis auf Pieter, der entschied, welches Schiff angegriffen wurde, und in heiklen Streitfragen unter den Männern ein Machtwort sprach, besaßen alle Bukanier die gleichen Rechte und Pflichten. Sie unterschieden nicht nach Herkunft, Bildung oder Hautfarbe. Alles, was zählte, war, wie die Männer sich innerhalb der Gruppe verhielten, und da gab es bloß zwei wichtige Regeln: Man hatte im Kampf einander beizustehen, und die Beute musste gerecht aufgeteilt werden.
Conrad verstand nicht, wie Männer, die sich skrupellos am Eigentum anderer bedienten, untereinander einen so hohen Sinn für Gerechtigkeit an den Tag legen konnten. Pieter van der Hoe erklärte Conrad, dass er und seine Männer nicht danach trachteten, Menschen zu töten. Gab es bei einem Kampf dennoch Tote, so meist nur deshalb, weil die Angegriffenen sich sinnlos zur Wehr setzten.
»Aber das ist ja auch ihr gutes Recht, schließlich nehmt ihr den Männern ihren Besitz ab«, warf Conrad empört ein.
Pieter schüttelte lachend den Kopf: »Du glaubst doch nicht im Ernst, dass das Gold auf den spanischen Galeonen der Mannschaft gehört.«
Conrad zuckte mit den Schultern. Pieter hatte recht. Das Gold war für die spanische Krone bestimmt und für die Adeligen, die ohnehin wie die Maden im Speck lebten.
»Du kannst dich entspannen und dein Gewissen beruhigen, meine Männer und ich sorgen bloß für ein bisschen Gerechtigkeit auf dieser Welt.«
Conrad fuhr sich mit der Hand durch sein rotblondes Haar und meinte: »Fortuna fortes adiuvat.«
Pieter hielt ihm mit gespieltem Ernst den Zeigefinger an die Brust: »Lass das lateinische Gefasel, das versteht hier niemand.«
»Das Schicksal hilft den Starken«, erklärte Conrad, und Pieter grinste übers ganze Gesicht.
»Der Spruch gefällt mir. Ich sollte ihn auf unsere Fahne schreiben lassen. Was meinst du, wie die überheblichen Spanier schauen würden.«
Conrad zuckte mit den Schultern. Er war sich nicht sicher, wie viele von den einfachen Seemännern den Spruch überhaupt lesen könnten.
Als Arzt genoss er binnen kurzer Zeit eine ganz besondere Stellung innerhalb der Gruppe. Es gab keinen der Männer, der ihn nicht um Hilfe bat. Sie alle hatten in einem der Kämpfe die eine oder andere Verletzung davongetragen. Viele davon waren nie wirklich verheilt, so wie Pieters Schnittwunde an der Wade.
Conrad versuchte sein Bestes, musste aber fast ohne Medizin auskommen. Er kannte die Pflanzen der Neuen Welt nicht und wusste nichts über ihre Wirkkraft.
Während Conrad mit Branntwein offene Wunden reinigte, suchte Assante die Gegend rund um das Lager ab. Zu Conrads großer Überraschung verfügte Assante über ein enormes botanisches Wissen. Voller Begeisterung brachte er neue Pflanzen herbei und versuchte sie zu bestimmen. Auf der Feigenplantage des Spaniers Villaverde hatte er von einem der älteren Arbeiter viel über Pflanzen und deren Heilkraft gelernt. Jetzt verglich er Früchte und Blattformen mit ihm bekannten Pflanzen und versuchte Schlüsse daraus zu ziehen, ob eine Pflanze giftig oder heilsam war. Allein die Farbe und Form einer Pflanze gab ihm bereits Aufschluss darüber. Assante beobachtete, welche Teile der Pflanzen von den Tieren gegessen wurden und welche gemieden, daraus schloss er, was auch für den Menschen genießbar war. Assantes Begeisterung für die Pflanzenwelt erinnerte Conrad schmerzhaft an Jana und ihren Drang, während einer Reise wertvolle Pflanzen einzusammeln und zu trocknen. Nur zu gut war ihm noch in Erinnerung, wie sie auf der Schwäbischen Alb Enzian gebrockt und mitgenommen hatte.
Wie es Jana in diesem Moment wohl erging? Conrad schloss die Augen, die Vorstellung war zu schmerzvoll. Wenn er an Jana dachte, sah er immer dasselbe schreckliche Bild: Jana gefesselt im Boot der Piraten. Conrad hatte Pieter nach dem Kapitän gefragt, der die Santa Lucia überfallen hatte. Was der Niederländer ihm geantwortet hatte, trug nicht zu Conrads Beruhigung bei. Kapitän Morgan war einer
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